Spitzmäuse schrumpfen im Winter und wachsen im Sommer

(24.10.2017) Bei Waldspitzmäusen schrumpft der Schädel im Winter um bis zu 15 Prozent, um dann im Frühjahr wieder um bis zu neun Prozent zu wachsen.

Die Tiere verlieren insgesamt fast ein Fünftel ihres Körpergewichts über den Winter, verdoppeln ihr Gewicht dann aber im Frühjahr wieder.

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und Seewiesen haben herausgefunden, dass nicht nur die Knochen, sondern auch Organe und sogar das Gehirn abgebaut werden.


Röntgenbild der Schädelkalotte einer Waldspitzmaus, ausgewachsenes Jungtier in seinem ersten Jahr (links), dasselbe Tier im Winter (Mitte) und als geschlechtsreifes Tier im zweiten Sommer (rechts).

Vermutlich sichert die Schrumpfung den Tieren mit ihrem hohen Stoffwechsel das Überleben in den kargen Wintermonaten.

Waldspitzmäuse führen ein Leben auf der Überholspur. Die daueraktiven, nur zehn Gramm schweren Insektenfresser teilen sich mit den Mäusen aufgrund ihrer Körperform nur den Namen. Tatsächlich sind sie eng mit Maulwürfen und Igeln verwandt.

Der Energiebedarf einer Spitzmaus ist so hoch, dass sie verhungert, wenn sie nur zwei bis drei Stunden keine Nahrung findet. Weder Tages- noch Jahreszeiten halten sie in ihrem kurzen, kaum 13-monatigen Leben vom Fressen ab.

Im Sommer ernähren sich Spitzmäuse hauptsächlich von Würmern und Larven. Im Winter, unter ungleich härteren Lebensbedingungen, leben sie primär von Insekten und Spinnentieren.

Der polnische Zoologe August Dehnel hatte bereits in den 1950er Jahren bemerkt, dass im Winter gefangene Spitzmäuse nicht nur leichter sind, sondern tatsächlich auch kleiner.

Seine Vermessungen haben gezeigt, dass die Schädel flacher und die Wirbelsäulen kürzer sind. Aber auch viele Organe und insbesondere das Gehirn seiner Tiere wiesen ein um 20 Prozent geringeres Volumen auf als im Sommer.

Könnte Schrumpfen eine bislang unbekannte Anpassung an die winterlichen Lebensumstände sein?

Um zu untersuchen, ob einzelne Individuen ihre Körpermaße tatsächlich auf diese Weise verändern, fing der Doktorand Javier Lazaro vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell um den Campus am Bodensee ca. 100 Waldspitzmäuse.

Er stattete die Tiere mit reiskorngroßen elektronischen Chips aus, wie sie auch –– in einer größeren Variante – auch für Haustiere zur Identifikation verwendet werden.

Die Tiere wurden alle geröntgt, um ihre Schädel zu vermessen und anschließend wieder in die Freiheit entlassen. In regelmäßigen Wiederfangaktionen konnte rund ein Drittel der Tiere einmal oder mehrmals wiedergefangen und erneut geröntgt werden.

Tatsächlich sind alle untersuchten Individuen im Winter geschrumpft und im Frühjahr wieder gewachsen. „Die Schädelhöhe nahm im Winter um 15 Prozent, manchmal sogar bis maximal 20 Prozent ab und im Frühjahr wieder bis zu neun Prozent zu“ sagt Javier Lazaro.

Dina Dechmann, Koautorin der Studie, interpretiert dieses Phänomen als bisher unbekannte Strategie von Tieren mit einem hohen Stoffwechsel, den Nahrungsmangel und die niederen Temperaturen im Winter zu überleben.

„Normalerweise sind Tiere in kälteren Zonen größer und haben dadurch ein gutes Verhältnis von Volumen zu Oberfläche, um Wärmeverluste zu kompensieren. Die Spitzmaus hingegen hat eine im Verhältnis zum Volumen große Oberfläche und könnte durch das Schrumpfen überlebenswichtige Energie sparen“, sagt Dechmann.

Erst kürzlich gelang es Dechmanns Arbeitsgruppe, ähnliche Veränderungen auch am Schädel von Wieseln zu zeigen. Diese kleinen Raubtiere, Angehörige einer völlig anderen Säugetiergruppe, haben einen ebenfalls überaus hohen Energiebedarf und können dem Winter nicht ausweichen oder eine Winterruhe einlegen.

„Die Veränderungen am Knochen und an den Organen liefern uns Ansatzpunkte für unsere weitere Forschung. So untersuchen wir zusammen mit Kollaborationspartnern an einer Uniklinik die Veränderungen an der Knochensubstanz. Diese ähneln Vorgängen wie sie bei Osteoporose ablaufen.

Auch die Veränderungen an Gehirn und Herz könnten medizinisch interessant werden“, erklärt der Leiter der Studie Moritz Hertel aus dem Institutsteil Seewiesen. Die Studie ist also ein Beispiel dafür, wie die Grundlagenforschung der Max-Planck-Gesellschaft zu unerwarteten medizinischen Erkenntnissen führen kann.


Weitere Meldungen

Dr. Mohammad Khani (links) und Prof. Dr. Tim Gollisch (rechts), Klinik für Augenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).; Bildquelle: privat

Wie Mäuse Farben sehen: Göttinger Forscher finden Zellen für Farbinformationen in Mäuseaugen

Forscher der Universitätsmedizin Göttingen haben untersucht, wie Nervenzellen im Auge auf unterschiedliche Farbkombinationen reagieren
Weiterlesen

Der Gesichtsausdruck einer Maus. Darauf aufbauend wollen Forscher nun die neuronalen Grundlagen der Emotionen untersuchen.; Bildquelle: Max-Planck-Institut für Neurobiologie / Kuhl

Auch Mäuse haben verschiedene emotionale Gesichtsausdrücke

Forscher am Max-Planck-Institut für Neurobiologie beschreiben erstmals, dass auch Mäuse verschiedene emotionale Gesichtsausdrücke haben
Weiterlesen

Nacktmull ; Bildquelle: Jan Zwilling, IZW

Forscherteam beschreibt erstmals biochemischen Schlüsselmechanismus für Alterungsprozesse in Mäusen, Nacktmullen und Fledermäusen

Das Altern ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens. Wie Alterungsprozesse ablaufen, unterscheidet sich zwischen Tierarten – zum Teil sogar zwischen eng verwandten – sehr stark
Weiterlesen

Max-Planck-Institut für Psychiatrie

Unterschiedliche Persönlichkeiten in Mäusen identifiziert

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie haben eine Berechnungsmethode entwickelt, die Persönlichkeit von Mäusen objektiv zu messen.
Weiterlesen

Indem sie sich zurückziehen, vermindern kranke Hausmäuse weitere Ansteckungen.; Bildquelle: UZH

Kranke Mäuse ziehen sich zurück und vermindern so Ansteckungen

Fühlen sich frei lebende Hausmäuse krank, meiden sie den Kontakt zu ihren Artgenossen. Damit reduzieren sie das Risiko, dass sich die Krankheit in der Gruppe ausbreitet
Weiterlesen

Universität Zürich

Mäuse kooperieren, wenn es sich für sie lohnt

Hausmäuse ziehen ihre Jungen häufig in einem gemeinschaftlichen Nest auf. Wie eine neue Studie von Biologinnen der Universität Zürich zeigt, sind die Weibchen eher zur gemeinschaftlichen Jungenaufzucht bereit, wenn sich ihre Wurfgrössen ähneln und sich dadurch der Aufwand gleich verteilt
Weiterlesen

Waldmaus; Bildquelle: UDE

Auch die Waldmaus hat einen Magnetsinn

Dass Zugvögel dank des Erdmagnetfelds den Weg zu ihren Winter- und Brutquartieren finden, ist schon lange bekannt. Dass dieser sechste Sinn auch ganz ähnlich bei der Waldmaus zu finden ist, fand ein internationales Team um Dr. E. Pascal Malkemper von der Universität Duisburg-Essen (UDE) heraus
Weiterlesen

Mäuseweibchen ; Bildquelle: UZH

Langlebige Mäuse sind weniger aktiv

Weibliche Mäuse, die alt werden, sind weniger aktiv und risikofreudig. Sie essen auch weniger als ihre Geschlechtsgenossinnen mit geringerer Lebenserwartung
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen