Der soziale Faktor der Tierwanderungen

(10.08.2022) Soziale Einflüsse spielen bei Tierwanderungen eine entscheidende Rolle – dies zeigen Konstanzer Wissenschaftlerinnen durch die Zusammenführung von 100 Forschungspublikationen

Eine breite Spanne an Tierarten begibt sich auf große Wanderschaft – von kleinsten Insekten bis hin zu den größten Meeressäugetieren unseres Planeten. Auf ihrer Reise müssen die Tiere an Land, im Wasser oder in der Luft komplexe Landschaften durchqueren.

Dies erfordert viele Entscheidungen – wohin, wann und warum sie die Wanderschaft antreten. Die Vielfalt an Tierwanderungen ist groß. Nichtsdestotrotz konzentrieren sich die meisten Forscher*innen, die Tiermigration untersuchen, auf ganz bestimmte Arten oder Gruppen von wandernden Tieren.


Eine Gruppe von Maultierhirschen bei der Überquerung eines Gewässers in Wyoming, USA

Um besser zu verstehen, inwiefern soziale Interaktionen die Tierwanderungen beeinflussen, führte ein Team von Konstanzer Wissenschaftlerinnen daher Forschungsergebnisse aus 100 Publikationen zusammen, die ein weites Feld an Arten und Ökosystemen behandeln.

Ihr Übersichtsartikel legt nahe, dass soziale Interaktionen und soziales Lernen während der Wanderschaft weiter verbreitet sind, als bisher angenommen wurde.

Die Forschung fand am Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz und am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie statt.

Der Übersichtsartikel wurde am 2. August 2022 in der Wissenschaftszeitschrift „Trends in Ecology and Evolution“ veröffentlicht,

Zentrale Befunde: Die Wanderschaft stellt Tiere vor eine einzigartige Herausforderung, in der soziale Interaktion besonders vorteilhaft ist. So sind Tierwanderungen beispielsweise häufig an die Jahreszeiten gekoppelt, so dass die verfügbare Zeit, um auf eigene Faust zu erkunden und zu lernen, begrenzt ist.

Tierwanderungen sorgen für Interaktionen zwischen Individuen, die ansonsten nicht miteinander umgehen würden. Dies bietet ihnen Gelegenheiten, um Informationen auszutauschen und voneinander zu lernen. So fliegen zum Beispiel manche Singvögel, von denen man glaubte, dass sie alleine reisen, während nächtlicher Wanderzüge in Massen durch die Luft. In ähnlicher Weise ändern Tiere, die während anderer Jahreszeiten eigentlich territorial sind, ihr Verhalten während der Wanderschaft. Die miteinander getakteten Wanderbewegungen bringt Individuen aus unterschiedlichen Gruppen, Familien, Populationen und Arten zusammen.

Tiere gewinnen während der Wanderschaft auf ganz unterschiedliche Art und Weise Informationen von anderen Individuen, um ihre eigene Leistung zu verbessern. Selbst Tiere, die alleine reisen, können von sozialen Interaktionen profitieren: zum Beispiel im Fall des Blauwals, der auf den Gesang ferner Tiere hört, oder im Fall von Raubtieren, die der Duftspur anderer einzelgängerischer Raubtiere folgen. Wandertiere können sowohl von Artgenossen als auch von Tieren anderer Arten lernen.

Die Konstanzer Forscherinnen sehen ein großes Potenzial in „next-generation tracking“-Methoden (fortgeschrittene Besenderungstechniken), um die sozialen Interaktionen zwischen Tieren zu ergründen.

„Next-generation tracking“ umfasst unter anderem Ansätze wie die Beobachtung der kompletten Lebensspanne von Tieren sowie auch die GPS-Besenderung von ganzen Tiergruppen in freier Wildbahn. Diese Methoden vereinen die Vorteile von technologischem Fortschritt in der Tierbesenderung mit neuartigen experimentellen Ansätzen bei wissenschaftlichen Studien.

Der Übersichtsartikel macht ferner darauf aufmerksam, dass die Wiederansiedlung und Umsiedlung von Tierarten wichtige Gelegenheiten sind, um die sozialen Aspekte von Tiermigration zu erforschen.

Die Autorinnen ermutigen künftige Forschungsprojekte dazu, solche Gelegenheiten zu nutzen, um neue Erkenntnisse über Tierwanderungen zu gewinnen und dadurch einen Beitrag zu leisten, Tierwanderschaften auf unserem Planeten zu schützen und zu erhalten.




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