Strategien für mehr Artenvielfalt im Wald

(30.03.2022) Rund 4.300 Pflanzen und Pilzarten und mehr als 6.700 Tierarten: So groß ist die Artenvielfalt nach Expertenschätzungen in den für unsere Region typischen Buchenwäldern.

Von allen Lebensraumtypen zu Lande beherbergt der Wald damit die meisten Arten. Doch in jüngster Zeit beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Rückgang der Artenvielfalt auch in heimischen Wäldern.

Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) Eine wesentliche Ursache dafür dürfte die mit der Nutzung verbundene Homogenisierung der Wälder sein: „Durch die jahrhundertelange Konzentration auf die Holzproduktion finden wir heute vor allem mittelalte, mitteldichte und häufig totholzarme Wälder“, erklärt Jörg Müller.

Die regionale Diversität – also die unterschiedliche Artenvielfalt der in einer Landschaft verteilten Lebensgemeinschaften in Ökosystemen – gleicht sich wegen der steigenden Landnutzung immer stärker aneinander an.

Waldbewirtschaftung hat auch Vorteile

Müller ist Professor am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und Leiter der Ökologischen Station der Universität im Steigerwald. Darüber hinaus leitet er ab sofort eine neue Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Ihr Name: „Erhöhung der strukturellen Diversität zwischen Waldbeständen zur Erhöhung der Multidiversität und Multifunktionalität in Produktionswäldern“.

„Holzproduktion verringert die Artenvielfalt“: So einfach sind die Zusammenhänge in der Wirklichkeit allerding nicht. „Die Waldbewirtschaftung verursacht auf der anderen Seite auch ständig Störungen auf verschiedenen Ebenen, die zu mehr Heterogenität führen können“, sagt Müller.

Überraschenderweise seien diese gegensätzlichen Auswirkungen bislang noch nicht im Detail untersucht worden und ihre Folgen für die Artenvielfalt kaum empirisch belegt.

Forschungsflächen an elf Standorten in Deutschland

Die Forschungsgruppe will deshalb in den kommenden Jahren einerseits die Auswirkungen der beobachteten Homogenisierung quantifizieren und andererseits Strategien entwickeln, um deren negative Auswirkungen rückgängig zu machen.

Konkret geht es um die Frage, ob die Verbesserung der strukturellen Komplexität die Biodiversität und Multifunktionalität in ehemals homogenen Produktionswäldern erhöhen kann. Hierzu wurden Waldbestände an elf Standorten in Deutschland ausgewählt – vom Universitätsforst im Steigerwald über den Naturpark Bayerischer Wald bis zu Waldstücken im Saarland und im Hunsrück.

„Konkret werden wir der Frage nachgehen, ob die Verbesserung der strukturellen Beta-Komplexität in Wäldern durch Waldbau oder natürliche Störungen die Biodiversität und Multifunktionalität in ehemals homogen strukturierten Wirtschaftswäldern erhöht“, erklärt Müller.

Beta-Diversität: Darunter versteht die Wissenschaft Unterschiede in der Artenzusammensetzung von Gemeinschaften, die in benachbarten und somit üblicherweise sehr ähnlichen Habitaten leben. Und Multifunktionalität bezeichnet die Tatsache, dass Wälder heutzutage viele Aufgaben erfüllen müssen – beispielsweise als Lieferant von Bau- und Brennholz, als Luftfilter, Wasser- und CO2-Speicher und nicht zuletzt als Ausflugsziel für Erholung suchende Stadtbewohner.

Experimenteller Zugang

Das Forschungsprojekt ist experimentell angelegt: An den elf ausgewählten Waldstandorten in ganz Deutschland haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwei Waldbestände als typische Vertreter zweier „kleiner Waldlandschaften“ ausgewählt.

In einem dieser beiden Bestände haben sie auf neun jeweils 2500 Quadratmeter großen Teilflächen unterschiedliche Maßnahmen zur Erhöhung der Beta-Diversität durchgeführt. Im zweiten Revier, dem Kontrollbestand, werden sie neun Flächen anlegen, ohne spezielle Maßnahmen durchzuführen.

Zusätzlich nutzen sie im Würzburger Universitätswald Sailershausen drei Revierpaare, die als intensive Versuchsflächen mit einer verfeinerten Version dieser Maßnahmen dienen. „Hier werden wir zusätzliche Stichproben zur Biodiversität, der Ökosystemfunktionen und zu einer Reihe von Umweltvariablen durchführen, um unser Verständnis der Vorgänge zu verbessern und ein vereinfachtes Stichprobendesign für eine langfristige Überwachung zu entwickeln“, erklärt Müller.

Leitlinien für waldbauliche Konzepte

Insgesamt wird die jetzt genehmigte Forschungsgruppe einen neuen Weg in der Forschung einschlagen, indem sie den Zusammenhang zwischen Beta-Diversität und Multifunktionalität experimentell untersucht.

Darüber hinaus will sie dazu beitragen, Leitlinien für verbesserte waldbauliche Konzepte und Konzepte für das Management natürlicher Störungen in Wäldern der gemäßigten Zonen zu entwickeln, um die Homogenisierungseffekte der Vergangenheit umzukehren. Gerade letzteres erscheint vordringlich, da immer häufiger auch unsere Wälder von heftigen Störereignissen betroffen sind.

Daran beteiligt sind neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der JMU Teams von Forschungseinrichtungen in Bayreuth, Dresden, Frankfurt, Freiburg, Göttingen, Leipzig, Lüneburg und München.


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