Bahnbrechende Erkenntnis: Robben interpretieren ihre eigene Bewegung

(21.04.2015) Im Marine Science Center Rostock, dem größten Robbenforschungszentrum weltweit, erforscht Professor Dr. Guido Dehnhardt zusammen mit seinem Team aus Biologen und Physikern die Sinneswahrnehmung und kognitiven Fähigkeiten von neun männlichen Seehunden und drei Ohrenrobben.

Als Forschungseinrichtung dient ihnen ein umgebautes Personenschiff, die „Lichtenberg“, im Yachthafen von Rostock–Hohe Düne.

Den Wissenschaftlern am Marine Science Center ist jetzt am Ende einer langen Reihe von Experimenten zum visuellen System der Seehunde eine bahnbrechende Erkenntnis gelungen: „Seehunde sind in der Lage, das Bewegungsmuster , das durch die Eigenbewegung der Tiere im Auge entsteht, zu interpretieren“, sagt Dr. Frederike Hanke von der Robbenforschungsstation. Sie spricht vom so genannten „optischen Fluss“.


Seehund Malte

In einem Verhaltensexperiment zur optischen Flusswahrnehmung hatten die Forscher dem Seehund Malte sich bewegende Punkte, die eine Vorwärtsbewegung simulierten, auf einer Leinwand präsentiert. Nachdem ein Kreuz auf der Leinwand eingeblendet wurde, hatte der Seehund die Aufgabe, anzuzeigen, ob das Kreuz deckungsgleich mit der Bewegungsrichtung der Simulation war oder nicht. Der Seehund erlernte den Umgang mit dem sehr komplexen optischen Reiz innerhalb kürzester Zeit.

„Unsere Experimente zeigen, dass Seehunde generell einen sehr guten Zugang zu großflächigen, sich bewegenden Punktreizen haben“, sagt Frederike Hanke. „Und die unglaubliche Genauigkeit, mit der das Tier Abweichungen von der Bewegungsrichtung anzeigen konnte, ist beeindruckend“.

In seiner natürlichen Umgebung könnte, so die Forscher, der Seehund optischen Fluss u. a. hervorgerufen durch eine Bewegung durch partikelreiches Wasser, was im Experiment simuliert wurde, nutzen.

Diese Vorstellung erfordert ein vollständiges Umdenken, was die Bedeutung von Partikeln für die Fortbewegung und Orientierung unter Wasser anbelangt. Bislang war man davon ausgegangen, dass Partikel im Wasser die Sicht für die Seehunde drastisch einschränken. Mit der nun dokumentierten Fähigkeit zur Wahrnehmung von optischem Fluss können die Seehunde eine visuelle Information, die gerade durch eine Bewegung durch Partikel hervorgerufen wird, vielfältig nutzen.

In einer früheren Studie hatten Forscher gezeigt, dass beispielsweise Bienen Entfernungen nicht, wie früher angenommen, an Hand ihres Energieverbrauchs bestimmen. Stattdessen beruht ihre Schätzung ebenfalls auf optischem Fluss – dem Bewegungsmuster, das beim Vorbeiflug an Blumen und anderen Objekten hervorgerufen wird.

Fliegen die Bienen anstatt in ihrer natürlichen Umgebung in einem engen Tunnel, vermitteln die aus Sicht der Tiere viel schneller vorbeiziehenden Muster deshalb den Eindruck einer längeren Wegstrecke. Dies führt dazu, dass die Bienen bereits viel früher, sprich absolut nach einer geringeren Entfernung vom Bienenstock, nach der vertrauten Futterquelle suchen.

Den neuesten Erkenntnissen zu Folge könnten auch Seehunde, nun jedoch unter Wasser, optischen Fluss zur Abschätzung des zurückgelegten Weges nutzen. Diese Abschätzung ist eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Orientierung z. B. während der Futtersuche.

Optischer Fluss scheint demnach eine Informationsquelle, auf die sich Seehunde und möglicherweise auch weitere aquatische Organismen zur Kontrolle der Orientierung und Fortbewegung verlassen können. Text: Wolfgang Thiel



Weitere Meldungen

Seehund-Laus; Bildquelle: Anika Preuss

Seehund-Läuse sind Königinnen des Klammerns

Forschende der Uni Kiel entschlüsseln überlegene Haltekräfte der Seehund-Laus, ein obligater Ecktoparasit, unter extremen Bedingungen im Meer
Weiterlesen

Weddellrobbe ; Bildquelle: Weddellrobbe

Weniger Eis, weniger rufende Robben

Mehrere Jahre lang hat ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts am Rande der Antarktis mit Unterwassermikrofonen nach Robben gelauscht
Weiterlesen

Ein Seehund schwimmt sein Ziel relativ zu vier Landmarken unter Wasser an; Bildquelle: Eric Maaß/Universität Rostock

Wie Seehunde ein Ziel mit Hilfe von Landmarken finden

Seehunde sind Küstenbewohner. Auch an den Küsten Mecklenburg-Vorpommerns können die Tiere bei ihren Ruhephasen am Strand oder auf einem Felsen beobachtet werden.
Weiterlesen

Aus einer Ruheposition heraus betrachtet Seebär "Fin" während des Zeitsinnexperiments den Zeitreiz; Bildquelle: Tamara Heinrich

Wissenschaftlerinnen erforschen das Zeitgefühl von Robben

Wissenschaftlerinnen der Universität Rostock konnten zeigen, dass Hundsrobben und Ohrenroben sehr ähnliche Fähigkeiten der Zeitwahrnehmung besitzen, obwohl die Robbenarten sich ansonsten in sehr vielen Aspekten unterscheiden
Weiterlesen

Juveniler Seehund; Bildquelle: Thomas Taupp, BfG

Volkszählung bei den Seehunden in der Tideelbe

Wie viele Seehunde halten sich auf den Wattflächen der Tideelbe auf? Dieser Frage gingen Bundesanstalt für Gewässerkunde-Wissenschaftler nun erstmals nach
Weiterlesen

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Das Kräfteverhältnis der Meerestiere könnte sich durch die Erwärmung der Ozeane verschieben

In der Ökologie gilt die Regel, dass die Biodiversität in Richtung Äquator ansteigt und in den Tropen am höchsten ist
Weiterlesen

Der Nördliche Seeelefant überlebte nur aufgrund weniger Tiere. Der Bestand hat sich erholt, die heutigen Populationen sind aber genetisch stark miteinander verwandt.; Bildquelle: Universität Bielefeld/Martin Stoffel

Elf Robbenarten sind Ausrottung knapp entgangen

Das Fell als Rohstoff für Pelzmäntel, das Fett für Öllampen und als Heilmittel in der Kosmetik: Millionen von Robben wurden jährlich bis Ende des 19. Jahrhunderts gejagt und getötet
Weiterlesen

WWF

WWF baut Schneehöhlen für bedrohte Ringelrobben

Der WWF hat mit freiwilligen Helfern in Finnland „Kinderstuben“ für Ringelrobben geschaufelt. In diese Schneewälle ziehen sich die Saimaa-Ringelrobben, eine bedrohte arktische Süßwasser-Robbenart, zur Geburt zurück
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen