Künstlicher Wirkstoff hemmt Coronaviren

(29.01.2020) Ein künstlicher Virenhemmstoff drängt Krankheitserreger wie das Coronavirus zurück, wirkt aber ebenso gut gegen andere gefährliche Viren wie das Lassa- oder das Zika-Virus.

Das hat eine bundesweite Forschungsgruppe herausgefunden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten über ihre Ergebnisse im Fachblatt „Antiviral Research“.

Der Naturstoff Silvestrol wird aus asiatischen Mahagonigewächsen gewonnen, die in Borneo als traditionelle Heilpflanzen gegen eine Vielzahl von Krankheiten eingesetzt werden.


Professor Dr. Arnold Grünweller mit einem Aglaia-Strauch im Sarawak Biodiversity Center (SBC) in Borneo. Aus dieser Pflanze isolieren SBC-Mitarbeiter Silvestrol, mit dem Grünweller und sein Team arbeiten.

Die Substanz blockiert ein Enzym, das in Körperzellen vorkommt; es wird von eingedrungenen Viren benötigt, die ihre eigenen Proteine von diesem Enzym herstellen lassen, um sich zu vermehren.

Indem Silvestrol das Enzym hemmt, wirkt das Mittel gegen eine ganze Reihe gefährlicher Krankheitserreger wie Ebola-, Lassa- und Coronaviren.

„Leider ist Silvestrol chemisch sehr schwer herzustellen“, sagt der Marburger Professor Dr. Arnold Grünweller, der die Studie initiiert hat. „Man muss also immer wieder auf die Pflanze zurückgreifen, um die Substanz zu gewinnen.“

Die Forschungsgruppe verglich den Naturstoff mit einem künstlich hergestellten Molekül, CR-31-B, dessen chemische Struktur ihm ähnelt. „Es weist jedoch eine weniger komplizierte Struktur auf als Silvestrol“, erläutert Wiebke Obermann, die ihre Doktorarbeit an der Philipps-Universität Marburg bei Grünweller schreibt und als eine der beiden Erstautorinnen der Publikation firmiert.

Zu den Unterschieden der beiden Substanzen zählt insbesondere, dass Silvestrol eine zusätzliche chemische Gruppe trägt.

Zunächst infizierten die Wissenschaftler Zellen mit Coronaviren, anschließend gaben sie einen Hemmstoff hinzu: Silvestrol oder CR-31-B. „Die antiviralen Effekte sind fast identisch“, berichtet die Gießener Virologin Dr. Christin Müller, die in der Arbeitsgruppe von Professor Dr. John Ziebuhr an der Justus-Liebig-Universität zu Coronaviren forscht und sich die Erstautorschaft mit Obermann teilt.

Der Befund gilt für Coronaviren, aber auch für Zika- und Lassa- sowie Krim-Kongo-Fieber-Viren. Lediglich gegen den Hepatitis E-Erreger wirkt der künstliche Hemmstoff ein wenig schwächer als der Naturstoff.

„Alles in allem bestätigen unsere Ergebnisse, dass CR-31-B eine ähnlich starke Wirksamkeit gegen ein breites Spektrum von Viren entfaltet wie Silvestrol“, fasst Grünweller zusammen.

Das Interesse der Industrie ist bereits geweckt. „Moleküle wie CR-31-B, die eine ähnliche antivirale Breitband-Wirkung wie Silvestrol besitzen, sind von einer Zulassung als Medikament jedoch noch weit entfernt“, berichtet der Hochschullehrer.

In der Krebsmedizin werde aber schon ein synthetisches Molekül, dem CR-31-B strukturell sehr ähnlich ist, in einer klinischen Studie getestet.

„Dies zeigt, dass diese Substanzklasse keine unerwartete Toxizität oder Mutagenität in entsprechenden präklinischen Tierstudien aufweist, was künftige klinische Studien von CR-31-B natürlich vereinfacht.“

Professor Dr. Arnold Grünweller lehrt Pharmazeutische Chemie an der Philipps-Universität Marburg. An der Studie wirkten die Arbeitsgruppen von Professor Dr. Roland K. Hartmann aus dem Institut für Pharmazeutische Chemie der Philipps-Universität sowie von Professor Dr. John Ziebuhr aus dem Institut für Medizinische Virologie der Justus-Liebig-Universität Gießen mit.

Koautor Professor Dr. Hans-Guido Wendel vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York stellte den Silvestrol-Ersatz CR-31-B zur Verfügung, außerdem beteiligten sich das Paul-Ehrlich-Institut in Langen sowie das Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg an den Forschungsarbeiten.

Das mittelhessische „LOEWE“-Zentrum DRUID, das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, der Sonderforschungsbereich 1021 der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie die Leibniz-Gemeinschaft unterstützten die Forschungsgruppen finanziell.

Mikrobiologie und Virologie gehören zu den Forschungsschwerpunkten des Forschungscampus Mittelhessen (FCMH). Der FCMH ist eine hochschulübergreifende Einrichtung der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Philipps-Universität Marburg und der Technischen Hochschule Mittelhessen, deren Aufgabe in der Stärkung der regionalen Verbundbildung in der Forschung, Nachwuchsförderung und Forschungsinfrastruktur liegt.

Link zum Campus-Schwerpunkt „Mikrobiologie und Virologie“: https://www.fcmh.de/mv

Publikation

Christin Müller, Wiebke Obermann & al.: Comparison of broad-spectrum antiviral activities of the synthetic rocaglate CR-31-B (−) and the eIF4A-inhibitor Silvestrol, Antiviral Research 2020


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