Erster anatomischer Atlas für die Genaktivität eines Säugetiers

(15.02.2011) Internationales Wissenschaftlerkonsortium analysiert die aktiven Gene im Mausembryo


Expressionsmuster von sechs unterschiedlichen Genen in Längsschnitten von 14,5 Tage alten Mausembryonen
18000 Gene und 400 MicroRNAs, die jeweils in 24 unterschiedlichen Bildern untersucht wurden; 1420 anatomische Strukturen, an denen die aktiven Gene gekennzeichnet sind; 1002 gewebespezifische Gene als neuartige Marker für 37 verschiedene anatomische Strukturen - mit dem „hochaufgelösten anatomischen Atlas des Transkriptoms im Mausembryo“ stellt das EURExpress Konsortium, eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern aus zwölf europäischen Forschungseinrichtungen, die weltweit erste umfassende Übersicht über die räumliche und zeitliche Aktivität aller bekannten Gene eines ganzen Säugerorganismus zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung zur Verfügung.

In der renommierten Fachzeitschrift PLoS Biology beschreiben die Forscher, welche Gene in den verschiedenen Organen eines 14,5 Tages alten Mausembryos aktiv sind und erläutern, wie ihre Daten die Suche nach Kandidatengenen für genetische und komplexe Erkrankungen unterstützen kann.

Säugling, Kleinkind, erwachsener Mensch – alle Organismen durchlaufen verschiedene Lebensstadien, in denen ihr Körper unterschiedliche Funktionen erfüllen muss. Die Erbinformation eines Individuums wird bei seiner Zeugung festgelegt und ist in allen Zellen des Organismus identisch – unabhängig von der jeweiligen Entwicklungsstufe. Die Entwicklung unterschiedlicher Organe und Körperteile, die in verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedliche Funktionen im Organismus wahrnehmen müssen, ist daher nur möglich, weil zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Gene in den einzelnen Zellen angeschaltet sind.

Aber wann sind welche Gene in welcher Zelle aktiv? Die Antwort ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der physiologischen Funktion eines Gens. In fünfjähriger Arbeit, die aus Mitteln der Europäischen Union finanziert wurde, haben die Forscher des EURExpress Konsortiums, unter ihnen die Arbeitsgruppen von Stefan Mundlos und Marie-Laure Yaspo vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, die Aktivität aller bekannten Gene der Maus in allen Gewebestrukturen eines 14,5 Tage alten Mausembryos untersucht. Sie nutzten dafür ein kolorimetrisches Verfahren namens RNA in situ Hybridisierung, das die Expression von Genen mit zellulärer Auflösung in ihrem natürlichen Kontext sichtbar macht.

Die Ergebnisse dieser Arbeit stehen in Form einer interaktiven Webdatenbank für die wissenschaftliche Gemeinschaft zur Verfügung. „Die Aufbereitung der Ergebnisse erlaubt es anderen Gruppen, die Daten für ihre eigenen Untersuchungen zu nutzen“, erläutert Marc Sultan, Wissenschaftler am MPI für molekulare Genetik. „Wir selber nutzen die Ergebnisse bereits für andere Untersuchungen, indem wir beispielsweise für bestimmte Krankheitsbilder zeigen, mit welchen Genaktivitäten sie verbunden sind bzw. welche Gene an der Entstehung der Krankheit beteiligt sein könnten.“ Die Qualität und die exakte räumliche Verteilung der Daten erlauben darüber hinaus neue Erkenntnisse über die komplexe segmentale Organisation des Säugerhirns und geben Hinweise für die Aufklärung wichtiger Signalwege, die zum Beispiel an der Entwicklung der Niere beteiligt sind.

Genomweite Genexpressionsanalysen spielen heute eine wichtige Rolle für die funktionelle Genomik. Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse künftig zur Aufklärung zahlreicher weiterer Fragestellungen beitragen werden, wie zum Beispiel die Bestimmung regionaler Unterschiede in komplexen Organen, die Suche nach regulatorischen Elementen für die Steuerung gewebsspezifischer Genaktivitität, die Charakterisierung von Gen-Netzwerken, die zwischen verschiedenen Organen aktiv sind oder auch die Untersuchung von möglichen Kandidatengenen für komplexe und angeborere Erkrankungen.


Weitere Meldungen

Junge Paviane beim Spielen; Bildquelle: Susan Alberts

Widrigkeiten in den ersten Lebensjahren hinterlassen langfristige Spuren in der DNA von Pavianen

Frühe Erfahrungen im Leben eines Tieres können sich noch Jahre oder Jahrzehnte später auf sein Leben auswirken. DNA-Methylierung kann helfen, diese Auswirkungen zu dokumentieren
Weiterlesen

Amazonenkärpflinge ; Bildquelle: David Bierbach

Klonfische: Gleiche Gene, gleiche Umwelt – unterschiedliche Fitness

Unterschiede im Erbgut oder in wesentlichen Umwelteinflüssen bestimmen die Individualität. Dieses Paradigma der Zwillingsforschung bröckelt zunehmend
Weiterlesen

Das erwachsene Epaulettenhaipaar aus der Studie; Bildquelle: Frank J. Tulenko/Monash University

Genetische Stabilität: Zweischneidiges Schwert für Haie

Haie existieren seit Millionen von Jahren, erkranken selten an Krebs und reagieren empfindlich auf ökologische Veränderungen
Weiterlesen

Bienen

Wie das Geschlecht der Bienen festgelegt wird

Ein Forschungsteam der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) aus Biologen und Chemikern hat nun ein Schlüsselgen gefunden und den molekularen Mechanismus, der mit dem Gen verbunden ist
Weiterlesen

Universität Uppsala

Die Veröffentlichung von 2.000 Hundegenomen bietet ein Toolkit für die translationale Forschung

Ein internationales Forschungskonsortium hat 2000 Hundegenome erstellt und analysiert. Das daraus resultierende fortschrittliche Genetik-Toolkit kann nun zur Beantwortung komplexer biologischer Fragen verwendet werden
Weiterlesen

Wissenschaft

Universitäten

Neuerscheinungen