Individualisierte Aufruffütterung von Schweinen soll Stress im Stall vermeiden
In der Experimentalanlage Schwein am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf (FBN) kann bereits beobachtet werden, wie das „Fressen nach Plan“ funktioniert. Seit zwölf Jahren forschen und testen die Dummerstorfer Wissenschaftler erfolgreich Aufrufsysteme.
Heute hat der Abteilungsleiter für Biobasierte Wirtschaft, Nachhaltige Land- und Forstwirtschaft aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Clemens Neumann, einen Förderbescheid an die Forscher des Leibniz-Instituts übergeben.
Ziel des weiterführenden Forschungsvorhabens ist es, in Kooperation mit dem Rostocker Ingenieurbüro pironex GmbH die Überführung der Aufruffütterung in die landwirtschaftliche Praxis zu begleiten.
Das Forschungsprojekt läuft über zwei Jahre und wird von der Deutschen Innovationspartnerschaft Agrar (DIP) des Bundeslandwirtschaftsministeriums in Höhe von ca. 253.000 Euro gefördert. Die Gesamtkosten belaufen sich auf ca. 374.000 Euro.
„Die bisherigen Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass Technik einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung des Tierwohls in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung leisten kann“, sagte Clemens Neumann.
Der namentliche Aufruf von Schweinen zur Fütterung ist ein Projekt, das erheblich dazu beitragen kann, unerwünschte Stresssituationen am Futtertrog zu verhindern, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und das Tierwohl insgesamt zu erhöhen.
„Die Verbesserung des Tierwohls ist ein zentrales Forschungsthema am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie. Wir haben schon frühzeitig die tiergerechte Haltung und den schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt unserer wissenschaftlichen Arbeit gestellt“, betonte Professor Klaus Wimmers, kommissarischer Vorstand am FBN.
„Das verschafft uns heute einen Vorsprung in einer sich wandelnden Landwirtschaft, die immer stärker durch den aufgeklärten Verbraucher geprägt wird.“
Ernährung maßgeschneidert und vollautomatisch
Die Aufruffütterung ist eine Fortentwicklung der Versorgung in Gruppen gehaltener trächtiger Sauen mit elektronischen Futterstationen, sogenannten Abrufstationen. Seit 2013 müssen trächtige Zuchtsauen in Gruppen gehalten werden, um ihrem Sozialverhalten gerecht zu werden.
In Abrufstationen werden große Sauengruppen mit zum Teil mehr als 60 Tieren nacheinander zentral versorgt. Über Ohrmarkentransponder können sich dort die trächtigen Tiere ihren täglichen Anteil an Futter „abholen“.

„Unsere Weiterentwicklung setzt im Gegensatz dazu auf ein Futtermanagement per Aufruf, das heißt, die Sauen werden mit ihrem Namen zur Futteraufnahme aufgerufen. Das Verfahren der Aufruffütterung basiert auf einer automatisierten Konditionierung der trächtigen Sauen, also dem Training auf einen Namen, das ca. zwei bis drei Wochen dauert“, erklärte der Leiter des Instituts für Verhaltensphysiologie am FBN, Professor Birger Puppe.
Die Tiere lernen dabei ein individuelles Signal als Indikator für die eigene Fütterung zu interpretieren. Dadurch nähern sie sich der Futterstation fast ausschließlich nach ihrem Aufruf zu der von einem Steuerungsprogramm vorgesehenen Fütterungszeit.
„Der wesentliche Effekt des Aufrufverfahrens ist die Vermeidung von Futterkämpfen in der Sauengruppe sowie das Setzen von Beschäftigungsanreizen“, erläuterte der Projektleiter am FBN, Dr. Christian Manteuffel. Aus dem Tierverhalten und bekannten Tierparametern wie Alter und Körpergewicht schätzt das Steuerungsprogramm den ungefähren Rang jeder Sau in der sozialen Hierarchie der Gruppe ab. Der soziale Rang wird verwendet, um die natürliche Fressordnung bei der Reihenfolge der Aufrufe zu berücksichtigen und so fütterungsbedingte Zweikämpfe weiter zu verringern.
Mehrwert für Halter und die Tiere
Ziel des DIP-Projektes zur Aufruffütterung ist die Weiterentwicklung zur Marktreife. Dies beinhaltet Verbesserungen an der Software zur weiteren Steigerung der Fütterungseffizienz durch das FBN. Außerdem werden vom FBN Programme entwickelt, die ein Training der trächtigen Sauen auch in Großgruppen von 60 Tieren ermöglichen. Auf der Hardwareseite wird der existierende Versuchsaufbau von der Firma pironex GmbH zu einem kostengünstig in Serie zu fertigenden Gerät weiterentwickelt.
Das 2007 gegründete Rostocker Unternehmen pironex GmbH ist auf die Entwicklung von Elektronik und Software nach kundenspezifischen Anforderungen sowie auf die Entwicklung von Industrierechnern und Elektromobilitätskomponenten spezialisiert.
Das zu entwickelnde System kann verwendet werden, um ältere Abrufstationen zu modernen Aufrufstationen umzurüsten. Damit können Tierhalter ihre Betriebe aufwerten, ohne in neue Futterstationen investieren zu müssen. Gleichzeitig ist eine Kooperation mit Stationsherstellern geplant, um die Aufruffütterung als Ausstattungsoption für neue Abrufstationen zu vermarkten.
Im Vorfeld sind Praxisversuche in Zuchtbetrieben, die bereits über Abrufstationen verfügen, geplant. Bereits in zwei Jahren sollen die Geräte im Wert von 800 bis 1.600 Euro für Landwirte erhältlich und einsatzbereit sein. Im Rahmen des Projektes werden von der Firma pironex GmbH des Weiteren Technologien erprobt, die neben akustischen Signalen auch das Rufen mit Funksignalen erlauben, die in größeren Stalleinheiten zum Einsatz kommen sollen.
„Die Aufruffütterung leistet deutliche Beiträge zur Verbesserung konventioneller Haltungsverfahren und für mehr Wohlbefinden bei den Tieren. Der Anspruch ist dabei die Erhöhung der Tiergerechtigkeit ohne Beeinträchtigung der Wirtschaftlichkeit der Tierhaltung“, unterstrich Manteuffel.
„Voraussetzung hierfür ist die Verwendbarkeit des Verfahrens auch in großen Beständen und die Erzeugung eines echten Mehrwertes für den Halter“, so der Informatiker. „Bei der Aufruffütterung wird dieser Mehrwert durch die Möglichkeit geschaffen, mit gesünderen Tieren länger arbeiten zu können.
Das Verfahren wird gleichzeitig umso effizienter, je mehr erfahrene Sauen sich in der Gruppe befinden. Die Langlebigkeit der Sauen wird dadurch für die Halter zu einem Faktor von direktem wirtschaftlichem Interesse.“ Die Aufruffütterung wird von anderen Forschungseinrichtungen auch für weitere Nutztiere erprobt, so beispielsweise bei Kühen.
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 89 selbständige Forschungseinrichtungen. Deren Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.
Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen u.a. in Form der WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland.
Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.100 Personen, darunter 9.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,64 Milliarden Euro.
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