Ökologische Aufwertung von Gewässern nützt Fischen und Menschen

(03.03.2023) Studie: Erfolgreiche Strategie gegen den besorgniserregenden Verlust der biologischen Vielfalt in Binnengewässern

Der Verlust der biologischen Vielfalt in Binnengewässern ist besorgniserregend. In groß angelegten Ganzseeexperimenten hat ein Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) in Zusammenarbeit mit Angelvereinen 20 Seen ökologisch aufgewertet.

Humboldt-Universität zu Berlin Die Fische profitierten deutlich von den Verbesserungen der Lebensräume. Fischbesatz hingegen erzielte keine nachhaltig positiven Effekte. Die im Fachmagazin Science veröffentlichte Studie zeigt, wie wichtig es sowohl für den Artenschutz als auch für die fischereiliche Nutzung ist, Gewässer zu renaturieren und natürliche Prozesse zu fördern.

Die Biodiversität nimmt rasant ab. Viele Schutzkonzepte zielen auf die Förderung einzelner Arten ab. Ein alternativer Ansatz ist die Wiederherstellung ökologischer Rahmenbedingungen, die ganzen Lebensgemeinschaften zugutekommen.

Dieses sogenannte ökosystembasierte Management wird nicht zuletzt aus Kostengründen selten umgesetzt. Es fehlt auch an überzeugenden Belegen, dass ein umfassender Gewässerschutz effektiver ist, als die für viele Menschen naheliegenden Alternativen, wie das Aussetzen von Tieren zur Bestandsaufstockung.

Wichtiges Lehrstück für erfolgreichen Fischpopulationsschutz

Ein Berliner Forschungsteam hat in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen Angelvereinen, die im Anglerverband Niedersachsen organisiert sind, eine wegweisende Studie vorgelegt: Im Rahmen von Ganzseeexperimenten haben Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen über einen Zeitraum von sechs Jahren gemeinsam Maßnahmen zur Aufwertung von Lebensräumen und den traditionell beliebten Fischbesatz an 20 Baggerseen in Niedersachsen erprobt. In einigen Seen wurden zusätzliche Flachwasserzonen geschaffen.

In anderen wurden Totholzbündel eingebracht, um die Strukturvielfalt zu erhöhen. Weitere Versuchsgewässer wurden mit fünf fischereilich begehrten Fischarten besetzt, unveränderte Kontrollseen dienten als Vergleich. Insgesamt gingen über 150.000 Fische in die Untersuchung ein.

Das Ergebnis: Nur die Schaffung der Flachwasserzonen steigerte die Fischbestände nachhaltig. Diese Zonen sind für viele Fischarten ökologisch unverzichtbar, vor allem als Laichplatz und als Refugien für Jungfische. Das Einbringen von Totholz hatte nur in einzelnen Gewässern positive Effekte, der Fischbesatz verfehlte sein Ziel gänzlich.

„Die Wiederherstellung zentraler ökologischer Prozesse und Lebensräume – das ökosystembasierte Lebensraummanagement – kann Fischbestände nachhaltiger schützen und fördern als eng auf einzelne Arten ausgerichtete Maßnahmen wie Fischbesatz“, erklärt Johannes Radinger vom IGB, Hauptautor der Studie.

Vom Labor zu gemeinsamen Ganzseeexperimenten

Noch nie wurden Fischgemeinschaften in so umfangreichen Ganzseeexperimenten unter Beteiligung einer Vielzahl von Angelvereinen und anderen Praxisakteur*innen untersucht.

„Nur Management-Experimente unter natürlichen Bedingungen im Gewässer erlauben verlässliche Aussagen über den Erfolg und den Misserfolg einzelner Artenschutzmaßnahmen, da im Gegensatz zu Laboruntersuchungen die Komplexität ökologischer und sozialer Wechselbeziehungen abgebildet werden kann“, erläutert Thomas Klefoth, Professor an der Hochschule Bremen und Mitinitiator des Projekts. „Mehrere Baggerseen gleichzeitig in das Experiment einzubeziehen, war nur durch die enge Zusammenarbeit von Forschung und Praxis möglich.

Die Kooperation auf Augenhöhe hat zu einem Umdenken in Bezug auf Fischbesatz beigetragen und die Akzeptanz für nachhaltigere, lebensraumbezogene Managementalternativen gefördert“, resümiert Studienleiter Robert Arlinghaus, Professor für Integratives Fischereimanagement an der HU und am IGB.

Zwei Kernaussagen für den Gewässerschutz und das Fischereimanagement

Zwei zentrale Botschaften, die nicht nur für Baggerseen gelten, lassen sich aus der Studie ableiten: Die Wiederherstellung ökologischer Prozesse wirkt sich nachhaltiger auf Lebensgemeinschaften und Arten aus als der enge Fokus auf den Schutz einzelner Arten.

Und: Gewässerschutz funktioniert besonders gut, wenn Gewässernutzungsgruppen wie Angelvereine in Eigenverantwortung aktiv werden und in ihren Bemühungen von Behörden, Verbänden und Wissenschaft unterstützt werden.

So lassen sich Naturschutz und Naturnutzung in Einklang bringen. Denn von der Aufwertung der Gewässer profitieren sowohl die Arten als auch die Gewässernutzer:innen.

Publikation

Radinger J, Matern S, Klefoth T, Wolter C, Feldhege F, Monk CT, Arlinghaus R (2023) Ecosystem-based management outperforms species-focused stocking for enhancing fish populations. Science. DOI: 10.1126/science.adf0895.



Weitere Meldungen

Violette Holzbiene; Bildquelle: Björn M. von Reumont

Mildes Bienengift zeigt größeres Anwendungspotenzial

Das Gift der Honigbiene wird seit Jahrhunderten in der traditionellen Medizin als entzündungshemmendes Mittel geschätzt
Weiterlesen

Pseudopoda virgata; Bildquelle: Peter Jäger, Senckenberg

99 Riesenkrabbenspinnen-Arten neu beschrieben

Senckenberg-Spinnenforscher Dr. Peter Jäger hat gemeinsam mit Forschern aus China 99 neue Arten beschrieben
Weiterlesen

v.r.n.l; Gut Aiderbichl-Stiftungsvorstand Dieter Ehrengruber mit Univ. Prof. Dr. Florien Jenner,  PD Dr. med. vet. Ulrike Auer sowie den Studentinnen Zsofia Kelemen und Laura Manuela Torres Borda, die seit mehr als drei Jahren am Verhalten der Pferde forschen.

Gut Aiderbichl setzt wichtige Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität von Pferden

Rund 700 Pferde leben auf den Höfen von Gut Aiderbichl, viele unter ihnen sind bereits im fortgeschrittenen Alter
Weiterlesen

Fraunhofer-Institut

Windkraftanlagen: Künstliche Intelligenz erfasst automatisiert sensible Vogelarten

Für die Genehmigung von Windparks verlangen die Behörden von den Projektierern umfassende naturschutzbezogene Prüfungen
Weiterlesen

Regenbogen-Brandungsbarsch (Hypsurus caryi) ; Bildquelle: CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commoms

Weitverbreitete Arten auf dem Vormarsch

Das menschliche Handeln treibt den Wandel der Biodiversität und Veränderungen in der Zusammensetzung der Arten rapide voran. 
Weiterlesen

Krawall-Frösche; Bildquelle: Daniel Zupanc

Nachzuchterfolg bei wahren „Krawall-Fröschen“

Die Rufe des Baumhöhlen-Krötenlaubfrosches zählen zu den lautesten unter den Fröschen
Weiterlesen

Paul-Ehrlich-Institut

Schweine als Organspender

Beue Erkenntnisse zur Prävention von Infektionen durch Retroviren
Weiterlesen

Universität Göteborg

Säugetiere neuer Größe sind häufiger vom Aussterben bedroht

Auf die Größe kommt es an. Forscher, unter anderem von der Universität Göteborg, haben kartiert, welche Faktoren das Überleben von Tierarten auf isolierten Inseln bedrohen
Weiterlesen