Heimatverbundener Kabeljau

(28.10.2019) Bei der Abwägung zwischen gutem Futterangebot und sicherem Umfeld entscheidet sich der Grönland-Kabeljau eher für Sicherheit

Der Grönland-Kabeljau (Gadus morhua) hält sich meist nicht dort auf, wo es das beste Futter gibt, sondern wo es ihn beim Übergang von der Larve zum erwachsenen Fisch einmal hin verschlagen hat. Das haben Forscher des Thünen-Instituts für Seefischerei in Bremerhaven herausgefunden und jetzt in einer Studie veröffentlicht.

Sie analysierten dafür über einen Zeitraum von elf Jahren mehr als 4.000 Kabeljaumägen von Individuen, die sie an der Küste Grönlands gefangen hatten.

Der Schelfbereich um die Insel Grönland gehört zum Lebensraum des Kabeljaus, der in verschiedenen Beständen im gesamten Nord-Atlantik, der Nordsee und der Ostsee – dort Dorsch genannt – vorkommt.


Karte von Grönland mit Wanderungsbewegungen des Kabeljaus. Rot: Unterwasserbänke an der Ostküste

Der Grönland-Kabeljau hat einen komplexen Lebensyzklus: Die erwachsenen Fische laichen in Ostgrönland, von wo die Eier und Larven mit Meeresströmungen nach Süd- und Westgrönland transportiert werden.

Hier wachsen die Jungfische auf und „hangeln“ sich dann im Laufe des Erwachsenwerdens zurück nach Ostgrönland, wo sie sich auf Unterwasserbänken sammeln, fressen und laichen. Deshalb findet man in Westgrönland hauptsächlich kleine, in Südgrönland mittelgroße und in Ostgrönland fast ausschließlich sehr große Kabeljaue.

Untersuchungen der Fischereiforscher ergaben, dass die Zusammensetzung der Beute des Kabeljaus einen großen Einfluss auf seine Energiereserven hat. Dennoch halten sich die Fische nicht immer dort auf, wo das Futter am besten ist.

Die Wissenschaftler erklären dieses Phänomen damit, dass ein einzelner Fisch oft nicht in der Lage ist, räumliche Unterschiede in der Futterqualität wahrzunehmen.

Wenn der Kabeljau als Jungfisch langsam nach Ostgrönland wandert, bleibt er in bestimmten Arealen hängen, auch wenn die vorherrschenden Nahrungsbedingungen dort nicht gut sind. Selbst wenn sich dadurch Nachteile für die Reproduktion ergeben, scheut er offenbar das Risiko, nach einem besseren Standort zu suchen.

Die Forscher vermuten, dass diese Strategie vor allem damit zusammenhängt, dass Futterexpeditionen Gefahren mit sich bringen. Weil der Kabeljau in Grönland hauptsächlich auf relativ flachen Unterwasserbänken verbreitet ist, könnte er bei der Suche nach einer neuen Heimat in einem tiefen „Futtertal“ verhungern oder gar gefressen werden.

„Wir haben bei unseren Forschungsreisen immer wieder beobachtet, dass sich Kabeljaue häufig in Gebieten aufhalten, in denen sie eher unterernährt scheinen. Dies konnten wir mithilfe der Magenanalysen im Labor dann beweisen“, sagt Karl-Michael Werner, Biologe am Thünen-Institut und Erstautor der Studie.

Einer der spannendsten Aspekte hierbei war, dass sich diese Beobachtungen Jahr für Jahr wiederholten. Das ließ den Rückschluss zu, dass der Kabeljau relativ risikoscheu ist und Schwierigkeiten hat, sich an Unterschiede in der Umweltqualität anzupassen.

Dies ist vor allem für Ökosystemveränderungen im Zuge der Klimaerwärmung relevant: Wahrscheinlich dauert es länger als erwartet, bis sich Kabeljaubestände an veränderte Bedingungen anpassen.

Außerdem zeigen die neuen Erkenntnisse, dass bestimmte Habitate über einen langen Zeitraum von erhöhter Bedeutung für die Populationsstabilität des Grönland-Kabeljaus sind.

Dies ist wichtig für ein langfristiges Fischereimanagement des beliebten Speisefisches und gibt Hinweise darauf, welche Gebiete als besonders schützenswert ausgewiesen werden könnten.

Die Studie „Evidence for limited adaptive responsiveness to large-scale spatial variation of habitat quality“ wurde vom Thünen-Institut in Kooperation mit den Universitäten Hamburg, Tromsø und Girona angefertigt und ist im Fachmagazin Marine Ecology Progress Series erschienen.



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