Fossiler Chamäleonschädel wirft neues Licht auf den Ursprung der Schuppenkriechtiere

(30.01.2020) In Zusammenarbeit mit einem internationalen Team hat Senckenberg-Wissenschaftler Thomas Lehmann einen etwa 18 Millionen Jahre alten fossilen Chamäleonschädel aus Kenia untersucht.

Das Fossil aus dem frühen Miozän ist außergewöhnlich gut erhalten und zählt zu den ältesten Chamäleonfunden weltweit. Der Schädel gehört zu einer bislang unbekannten Art der Gattung Calumma und ist der erste Nachweis für einen afrikanischen Ursprung der – heute endemisch auf Madagaskar lebenden – Tiere. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Scientific Reports“.

Über die Hälfte aller Chamäleon-Arten leben heute auf Madagaskar. Auch die Gattung Calumma – farbenfrohe Chamäleons mit der Fähigkeit zu deutlichen Farbveränderungen – ist in dem Inselstaat endemisch.


Der untersuchte Chamäleon-Schädel aus dem frühen Miozän.

„Lange war man daher davon ausgegangen, dass die ‚Wiege der Chamäleons’ auf Madagaskar liegt“, erklärt Dr. Thomas Lehmann vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Wir haben nun den ersten Nachweis für den Ursprung der charakteristischen Schuppenkriechtiere auf dem afrikanischen Festland gefunden!“

Lehmann hat gemeinsam mit einem internationalen Team ein außergewöhnlich gut erhaltenes Schädelfossil eines Chamäleons aus der wissenschaftlichen Sammlung des National Museums of Kenyas mittels Mikro-Tomographie untersucht.

„Der Schädel stammt aus dem frühen Miozän und ist damit eines der ältesten Chamäleonfossilien weltweit. Die vollständige Erhaltung macht das Fossil einzigartig“, erläutert Dr. Job Kibii, Kurator am National Museums of Kenya den besonderen Fund.

Durch die hochauflösenden Scans konnten die Forschenden das Fossil aus der kenianischen Fundstelle Rusinga Island einer neuen Art aus der Gattung Calumma zuordnen. „Das ist insofern sehr überraschend, weil heutige Tiere dieser Gattung ausschließlich auf Madagaskar leben!“, ergänzt Erstautor der Studie Dr. Andrej Čerňanský von der Comenius Universität in Bratislava das Ergebnis.

Die Forschenden schließen aus dem außergewöhnlichen Fund, dass der Ursprung der auf Madagaskar lebenden Chamäleons auf dem afrikanischen Festland liegen muss.

Doch wie gelangten die – als eher schlechte Schwimmer bekannten – Chamäleons von Kenia nach Madagaskar, zumal sich die Insel bereits vor 100 Millionen Jahren in der Zeit des späten Mesozoikums vom afrikanischen Kontinent abspaltete?

„Wir gehen davon aus, dass die Chamäleons auf ‚schwimmenden Inseln’, Flößen aus Baumstämmen und Ästen, nach Madagaskar kamen. Solche Transportwege sind bereits von verschiedenen Tierarten bekannt – bei einer baumlebenden Art erscheint dieses Szenario zudem sehr wahrscheinlich“, antwortet der Frankfurter Paläontologe.

Das internationale Team hat die neue Art Calumma benovskyi daher auch konsequenterweise nach einem bedeutenden Abenteurer und Forschungsreisenden benannt: Móric Beňovský segelte als erster Europäer – sieben Jahre vor James Cook – über den Nordpazifik.

„Die Chamäleons sind ihre Reise nach Madagaskar nicht absichtlich angetreten – sie waren auf dieser aber nicht allein: Einige Halbaffen, wie beispielsweise das Fingertier, haben über den gleichen Weg die Insel besiedelt. Heute sind diese Tiere nicht mehr aus Madagaskar wegzudenken“, schließt Lehmann.

Publikation

Čerňanský, A., Herrel, A., Kibii, J.M. et al. The only complete articulated early Miocene chameleon skull (Rusinga Island, Kenya) suggests an African origin for Madagascar’s endemic chameleons. Sci Rep 10, 109 (2020) doi:10.1038/s41598-019-57014-5


Weitere Meldungen

Vosseler-Zweihornchamäleon - erwachsenes Männchen; Bildquelle: Daniel Zupanc

Nachwuchs bei stark gefährdeten Vosseler-Zweihornchamäleons

Vier winzige Vosseler-Zweihornchamäleons sind im Tiergarten Schönbrunn geschlüpft – ein wichtiger Beitrag zum Erhalt ihrer Art.
Weiterlesen

Jungtier des Nguru-Zwergchamäleons; Bildquelle: Daniel Zupanc

Nachwuchs bei Schmuggel-Chamäleons im Tiergarten Schönbrunn

Im Jänner übergab der Zoll dem Tiergarten Schönbrunn über 70 Chamäleons, die einem Schmuggler am Wiener Flughafen abgenommen wurden. Die Reptilien aus Tansania waren in Socken versteckt, dehydriert und voller Parasiten
Weiterlesen

Weibchen des Voeltzkow-Chamäleons in der Prachtfärbung; Bildquelle: Kathrin Glaw, SNSB

Wiederentdeckung des Voeltzkow-Chamäleons in Madagaskar

Die Bedrohung der globalen Biodiversität ist eine große Herausforderung für die Menschheit, aber über den konkreten Gefährdungszustand vieler Arten wissen wir bis heute nur sehr wenig
Weiterlesen

Nano-Chamaeleon-Brookesia-nana; Bildquelle: Frank Glaw

Das Nano-Chamäleon: Ein neuer Super-Winzling unter den Reptilien

Ein internationales Team unter Leitung der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) hat eine winzige neue Chamäleonart entdeckt
Weiterlesen

Brookesia perarmata: Ein Chamäleon in Ritterrüstung.; Bildquelle: Frank Glaw

Chamäleons in Rüstung aus knöchernem Stachelpanzer

Bonner Wissenschaftler fanden gemeinsam mit Kollegen aus München, Köln und Bremen ganz eigentümliche spitze Knochen in der Haut eines madagassischen Erdchamäleons
Weiterlesen

Männchen der neuen Chamäleonart Calumma emelinae aus dem Regenwald von Makira in Ost-Madagaskar.; Bildquelle: Miguel Vences (TU Braunschweig)

Vier neue Chamäleonarten aus Madagaskar – Revision des „Nasenchamäleons“

Madagaskar ist die Heimat von beinahe der Hälfte aller bekannten 217 Chamäleonarten
Weiterlesen

Micro-CT-Scan von Calumma gehringi ; Bildquelle: David Prötzel (SNSB-ZSM/LMU)

Drei neue Chamäleon-Arten auf Madagaskar entdeckt

Mehr als 40% der 206 bekannten Chamäleon-Arten leben ausschließlich auf Madagaskar. Münchner und madagassische Forscher haben nun drei neue Arten entdeckt
Weiterlesen

Auch das bekannte und als Haustier beliebte Pantherchamäleon (Furcifer pardalis) zeigt einen fluoreszierenden Kranz auf dem Kopf.; Bildquelle: David Prötzel (ZSM/LMU)

Knochenbasierte Fluoreszenz bei Chamäleons

Ein Münchner Forscherteam hat herausgefunden, dass viele Chamäleons knöcherne Tuberkel am Kopf aufweisen, die unter UV-Licht blau leuchten und eindrucksvolle Muster bilden
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen