Kamillenzucht für die Arzneimittelproduktion
Verglichen mit der Tier- und Menschenwelt geht es im Pflanzenreich bei der Fortpflanzung bunt zu. Forschende der Vetmeduni Vienna beschäftigen sich seit Langem mit der Weiterentwicklung der Kamille als Arzneipflanze.
Sie versuchen ohne gentechnische Maßnahmen länger blühende Kamillensorten zu identifizieren und den Anbau der Arzneipflanze so zu erleichtern. Ihre Methoden und Ergebnisse veröffentlichten sie kürzlich in den Fachmedien.
Die Kamille ist eine Heilpflanze, die vor allem bei Magen- und Darmerkrankungen auch in der Veterinärmedizin eingesetzt wird. Agrarwissenschafterin Bettina Fähnrich vom Institut für Tierernährung und funktionelle Pflanzenstoffe hat sich auf die Genetik der Kamille (Matricaria recutita) spezialisiert.
Die Forscherin ist auf der Suche nach Kamillensorten mit einem triploiden (dreifachen) Chromosomensatz anstelle des natürlichen diploiden (doppelten) Satzes. Die triploide Form ermöglicht eine länger währende Blüte und verlängert deshalb den Erntezeitraum. Triploide Kamillen produzieren außerdem vorwiegend sterile Samen.
Diese Eigenschaft bremst die Fortpflanzung ein. Es entwickeln sich also weniger fertile Samen, die im Folgejahr noch einmal keimen könnten. Das ist wichtig, denn diese neuen Pflanzen müssten in der nächsten Saison, wenn eine andere Frucht am Feld angebaut wird, als Unkraut entfernt werden.
Die Kamille ist genetisch gesehen konservativ
Viele Pflanzen verändern ihren Chromosomensatz im Laufe der Evolution auf natürliche Weise und passen sich so den äußeren Umständen an. Nicht so die Kamille. „Es ist sehr schwierig, an der Kamille zu forschen, da sie sehr konservativ ist.
Das heißt, sie verändert sich genetisch nur sehr ungern und paart sich nur mit ihresgleichen. Andere Pflanzen sind da viel flexibler“, beschreibt Fähnrich. Beim Anbau anderer Zierpflanzen wie Tagetes oder Begonien, oder auch zur Gewinnung mancher Obstsorten ist die Erzeugung triploider Chromosomensätze mittlerweile üblich.
Bestimmter Chromosomensatz macht die Kamille zur attraktiven Anbaupflanze
Um solche triploiden Kamillen hervorzubringen, kann man sie gezielt züchten oder nach spontanen Triploiden in der Natur suchen. Da Chromosomensätze bei Pflanzen ja variabel sein können, hofften die Botaniker auf einen triploiden Fund.
Leider war diese genetische Form nicht dabei. Bei bestimmten, genetisch veränderten (tetraploiden) Sorten, also solchen mit vierfachem Chromosomensatz, fanden die Forschenden häufige Abweichungen in der Chromosomenzahl.
Die ursprünglich künstlich hergestellten tetraploiden Sorten scheinen ein instabileres Genom zu besitzen als die natürlichen Formen. Dennoch produzierten diese instabilen Sorten keine triploiden Formen.
Das Befruchtungsverhalten der Kamille genau untersucht
„Will man Pflanzen erfolgreich züchten, muss man zuerst wissen, wie sie es miteinander tun“, so Fähnrich. Deshalb untersuchte die Kamillengenetikerin über 300 verschiedene Kamillenpflanzen aus sechs Sorten auf ihre Befruchtungsfähigkeit hin.
Sie kreuzte alle Sorten untereinander. In der nächsten Generation nahm die Fruchtbarkeit der Pollen ab. Dann bestimmten die Forscher noch, welche beiden Sorten gekreuzt die unfruchtbarsten Nachkommen produzieren.
Genau diese Sorten sind dann erfolgversprechend für die Zucht. Sorten, die wenig Pollen produzieren, sozusagen steril sind, können gezielt für Kreuzungen verwendet werden. Diese werden dann von anderen Sorten gezielt befruchtet.
Generell gibt es Pflanzen, die sich nur selbst befruchten und wiederum Pflanzen, die nur Fremdbefruchtung zulassen. Manche Pflanzen machen beides. Den Grad der verschiedenen Befruchtungsarten zu bestimmen, ist ein Thema in Fähnrichs Forschung. Bei der Kamille sind beispielsweise Sorten gefragt, die sich nicht selbst befruchten. Dann können gezielte Kreuzungen durchgeführt werden.
Forschen für die Pflanzenheilkunde
Die Pflanzenheilkunde ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, auch in der Veterinärmedizin. Die Kamille wird sehr häufig in der Alternativmedizin eingesetzt, allerdings in Österreich selten angebaut.
Momentan wird der Großteil der Kamille, die in Österreich verarbeitet wird, aus Südamerika, Ägypten und Osteuropa importiert. Fähnrich betreibt ihre Grundlagenforschung auch, um den Anbau der Kamille für österreichische und mitteleuropäische Betriebe wieder attraktiv zu machen.
Die Studie „Self-incompatibility and male sterility in six Matricaria recutita varieties” von B. Fähnrich, P. Nemaz und Ch. Franz wurde im Journal of Applied Botany and Food Quality veröffentlicht.
http://pub.jki.bund.de/index.php/JABFQ/article/view/2468
Die Arbeit “Ploidy Level and Reproductive Trait Analysis in Three Matricaria recutita Cultivars” von B. Fähnrich, C. Dobes und Ch. Franz wurde im Journal Cytologia publiziert.
http://bit.ly/17Oa3PG
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