Orientalische Vorfahren:Genetischer Stammbaum europäischer Zuchthengste entschlüsselt

(30.06.2017) Männliche Tiere vererben ihr Y-Chromosom beinahe unverändert an ihre Söhne weiter. Das ermöglicht die Rekonstruktion der männlichen Abstammungslinie.

Beim Pferd ist die Variabilität am Y-Chromosom jedoch so gering, dass väterliche Abstammungen bislang nicht genetisch nachvollziehbar waren.

Nun gelang es einem Team der Vetmeduni Vienna erstmals die Verwandtschaftsbeziehungen der Hengstlinien moderner Pferderassen trotz der geringen Y-chromosomalen Veränderungen zu entschlüsseln. Die väterlichen Vorfahren fast aller modernen Pferderassen sind laut der Studie orientalischen Ursprungs.


Fast alle modernen, europäischen Hengste haben einen orientalischen Stammvater

Das Y-Chromosom spiegelt somit den enormen Einfluss der modernen Pferdzucht, die vom starken Einsatz orientalischer Hengststämme geprägt ist, auf die heutigen Pferderassen wider. Die Studie wurde in Current Biology veröffentlicht.

Über geschlechtsspezifisch vererbte Teile des Erbguts lassen sich mütterliche und väterliche Stammbäume erstellen. Bei Stuten wird die Abstammung auf Basis der variablen mitochondrialen DNA schon seit vielen Jahren genetisch erfasst.

Diese können die schriftlichen Aufzeichnungen der Stutenlinien in Zuchtbüchern komplementieren.

Weil die Y-Chromosomen europäischer Hengste dagegen nahezu ident sind, war die genetische Bestimmung ihrer Abstammungslinien bisher nicht möglich. Bei Hengsten musste man sich ausschließlich auf die Aufzeichnungen in Zuchtbüchern, sogenannte Pedigreedaten, verlassen.

Nun konnte ein Team der Vetmeduni Vienna mit hochauflösenden Sequenzanalysen die männliche Erbfolge der modernen Pferderassen entschlüsseln.

Die drei Gründerhengste des Englischen Vollblutes stammen vom Turkmenischen Pferd ab

Das Team um Barbara Wallner vom Institut für Tierzucht und Genetik analysierte mit Next-Generation Sequencing-Methoden große Bereiche des Y-Chromosoms von über fünfzig Hengsten aus 21 Rassen.

Dadurch konnten die Forschenden einen ersten Y-chromosomalen Stammbaum für die Hengste dieser Rassen erstellen. Ihre Analysen zeigten, dass der Stammvater aller untersuchten Zuchthengste weit nach der Domestikation gelebt haben muss.

Die Verbreitung der Y-chromosomalen Linien in 57 modernen Pferderassen zeigte außerdem, dass moderne Hengste, bis auf wenige Zuchten in Nordeuropa, väterlicherseits ausschließlich von orientalischen Tieren abstammen.

„Die orientalischen Pferde wurden in den letzten Jahrhunderten vermehrt in der Zucht eingesetzt und damit wurde der Grundstein für die heutigen Pferderassen gelegt. Die importierten orientalischen Tiere haben bestehende männlichen Erbgutlinien offensichtlich komplett verdrängt“, erklärt Wallner.

Orientalische Linien können grob gesehen in zwei Gruppen, die Araber und die Turkmenen eingeteilt werden. Die Gründerhengste des Englischen Vollblutes stammen laut der Studie etwa von der zweiten Gruppe ab.

Zuchtstrategien sorgten für geringe Vielfalt

Die geringe genetische Vielfalt des Y-chromosoms europäischer Pferderassen ist damit auf die Zuchtstrategien der letzten drei bis vier Jahrhunderte zurückzuführen.

„Die Sequenzierdaten stimmten mit Aufzeichnungen in Zuchtbüchern, die bei manchen Rassen bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, in den meisten Fällen überein. Mit unserem Verfahren können wir nun männliche Abstammungslinien in der Pferdezucht genetisch belegen und somit die Herkunft der Hengste unabhängig vom Pedigree exakt nachvollziehen“, so Wallner.

Y-chromosomale Studien sollen zukünftig helfen, lückenhafte oder unklare Zuchtangaben nachhaltig zu ergänzen. „Darüber hinaus wird gerade in der Pferdezucht, etwa bei Sportpferden, viel Geld investiert. Eine genetische Bestätigung der Abstammung gibt Züchterinnen und Züchtern eine zusätzliche Absicherung bei diesen Investitionen“, erklärt die Studienleiterin.

Publikation

Der Artikel „Y Chromosome Uncovers the Recent Oriental Origin of Modern Stallions“ von Barbara Wallner, Nicola Palmieri, Claus Vogl, Doris Rigler, Elif Bozlak, Thomas Druml, Vidhya Jagannathan, Tosso Leeb, Ruedi Fries, Jens Tetens, Georg Thaller, Julia Metzger, Ottmar Distl, Gabriella Lindgren, Carl-Johan Rubin, Leif Andersson, Robert Schaefer, Molly McCue, Markus Neuditschko, Stefan Rieder, Christian Schlötterer und Gottfried Brem wird am Donnerstag, 29. Juni 2017, um 18:00 MESZ in Current Biology veröffentlicht. DOI: 10.1016/j.cub.2017.05.086
http://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(17)30694-2



Weitere Meldungen

Dark Ronald XX war ein Stempelhengst, der die Züchtungslinien maßgeblich beeinflusste.; Bildquelle: Dark Ronald XX

Fragile Fohlen-Syndrom: Forschungsteam unter Göttinger Leitung stellt Zusammenhang mit Stempelhengst infrage

Das fragile Fohlen-Syndrom beim Warmblutpferd ist eine schwere, meist tödliche, genetische Erkrankung, die sich bereits nach der Geburt bei betroffenen Fohlen zeigt. Durch den Defekt ist das Bindegewebe instabil
Weiterlesen

Przewalskipferd; Bildquelle: A. Ludwig / Leibniz-IZW

Die männliche Seite der Pferdedomestikation

Weltweit gibt es gegenwärtig etwa 60 Millionen Pferde – 12 Millionen Hengste und 48 Millionen Stuten. Nahezu alle heute lebenden Hengste stammen von einem Hengst ab
Weiterlesen

Die vier Reiter der Apokalypse. Werk: Beato de Fernando I Doña Sancha, datiert auf 1047 n. Chr. (Apoc. VI, 1–8f. 135; shelf 14-2 National Bibliothek, Madrid; Bildquelle: By Français : Facundus, pour Ferdinand Ier de Castille et Leon et la reine Sancha (Real Biblioteca de San Lorenzo) [Public domain], via Wikimedia Commons

Vom Pferd der Könige zum Überbringer der Pest: die Fellfarben unserer Pferde im historischen Kontext

Menschliche Vorlieben hinsichtlich der Fellfärbung bei Pferden haben sich über die Zeit und die Kulturen sehr verändert. Gefleckte und helle Pferde waren vom Beginn der Domestikation bis zur Römerzeit häufig, wohingegen einfarbige, nichtgescheckte Pferde im Mittelalter dominierten
Weiterlesen

agroscope

Passt die Stute, gibt der Hengst mehr Spermien ab

Manchmal können Tiere andere gut riechen, manchmal aber auch nicht. Hierfür können die sogenannten „MHC-Gene“ eine Rolle spielen
Weiterlesen

Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW)

Jahrtausende alte Pferde-DNS offenbart Zuchtpräferenzen des Menschen

Über die Jahrtausende hinweg hat der Mensch, je nach Vorliebe die Fellfarben der Haustiere immer wieder züchterisch verändert
Weiterlesen

Pferdezucht

Chips in der Pferdezucht: weniger Erbkrankheiten durch clevere Strategie

Die sogenannten "Chips" sind bei Pferdezüchtern und -händlern eine gefürchtete Erscheinung. Spätestens bei der Ankaufsuntersuchung junger oder älterer Pferde kann die Entdeckung von frei beweglichen Knorpelteilen, beispielsweise in Gelenken, fatale Folgen haben
Weiterlesen

"Inter-Agrar" in Wieselburg vom 29. Juni bis 3. Juli 2005

Neues Beratungszentrum für Landwirte, Pferdezucht im Mittelpunkt: von Mittwoch, 29. Juni, bis Sonntag, 3. Juli, findet in Wieselburg (Bezirk Scheibbs) jeweils von 9 bis 18 Uhr die diesjährige "Wieselburger Messe - Inter Agrar" statt. Auch heuer werden bei dieser landwirtschaftlichen Fachmesse auch heuer rund 550 Aussteller bzw. über 1.300 Firmen aus Bereichen wie Land- und Forstwirtschaft, Bauen und Wohnen oder auch Landmaschinen ihre Produkte präsentieren
Weiterlesen

Originalskizze mit handschriftlichen Anmerkungen aus dem Kilikischen Heilbuch für Pferde, verfasst in Armenien in den Jahren 1295 bis 1298; Bildquelle: Jasmine Dum-Tragut

Sprachforschung trifft Veterinärmedizin

Ein armenisches Handbuch über Pferdeheilkunde aus dem 13. Jahrhundert wurde nun erstmals ins Deutsche übersetzt. Das Kompendium ist das älteste erhaltene veterinärmedizinische Werk Armeniens und bietet einen Überblick über das gesamte pferdekundliche Wissen des ausgehenden 13. Jahrhunderts im Vorderen Orient
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen