Neue Erkenntnisse über das Flügeldeformationsvirus

(13.11.2016) Seit einigen Jahren treten in Europa und Nordamerika massive Verluste von Honigbienenvölkern vor und während der Überwinterung auf. Die Varroamilbe und das Flügeldeformationsvirus konnten als Hauptfaktoren für das bedenkliche Bienensterben nachgewiesen werden.

Mit der Erzeugung künstlichen Erbguts des Virus gelang es Forschenden der Vetmeduni Vienna nun erstmals, Krankheitsverlauf und Symptome der sogenannten Milbenkrankheit ohne die Milben im Labor nachzustellen und die Virusvermehrung zu studieren.

Dies ermöglicht nun die überlegte Entwicklung neuer Strategien, um die Bienenpopulation zukünftig zu schützen. Die Ergebnisse wurden im Journal PLOS ONE veröffentlicht.

Die Honigbiene Apis mellifera ist neben ihrer Bedeutung für die Honig- und Wachsproduktion ein wichtiger Bestäuber von Obst- und Gemüsepflanzen.


Starke und gesunde Bienenvölker können Imker nur nach Behandlungen gegen die Varroamilbe einwintern.

Verluste von ganzen Bienenvölkern während der Überwinterung haben neben wirtschaftlichen vor allem ökologische Konsequenzen, da im Frühjahr zur Blütezeit die Bestäuber fehlen.

Besonders die Bienenzuchten Nordamerikas und Europas sind seit einigen Jahren von teils massiven Verlusten betroffen. Alleine in den Wintermonaten 2014/2015 starben regional in Österreich bis zu fünfzig Prozent aller Bienenvölker ab.

Hauptauslöser dieses Bienensterbens scheint dabei nicht, wie bisher vermutet, der Pestizideinsatz in der modernen Landwirtschaft zu sein.

Viele Studien konnten zeigen, dass ein Überleben der Bienenvölker maßgeblich von der Belastung durch die Varroamilbe, einen blutsaugenden Parasiten, und der durch diese Milbe verursachten Infektionen mit dem Flügeldeformationsvirus abhängt.


Die massiven Bienenvölkerverluste werden großteils durch die Varroamilbe und das Flügeldeformationsvirus verursacht.

Einer Forschungsgruppe des Instituts für Virologie der Vetmeduni Vienna gelang nun durch ein neues Versuchssystem ein entscheidender Schritt zur Erforschung des Virus. Sie stellten mithilfe eines molekularen Klons des Erregers erstmals den Krankheitsverlauf gezielt unter Laborbedingungen nach.

Künstliches virales Erbgut enthüllt Krankheitsverlauf von Bienenvirus

Bislang verwendete man für Versuche ausschließlich Proben des Flügeldeformationsvirus, die aus infizierten Bienen gewonnen wurden. „Misch- und Mehrfachinfektionen können das Ergebnis solcher Versuche allerdings verfälschen“, weiß Erstautor Benjamin Lamp.

Für die Entwicklung des neuen Versuchssystems verwendeten die Forschenden künstlich hergestelltes Erbgut anstatt natürlicher Proben des Flügeldeformationsvirus, um den Krankheitsverlauf eindeutig dem Virus zuzuordnen.

„Zuerst wird das Erbgut eines Virus vervielfältigt und in einem Vektor, einem speziellen Transportvehikel, als Kopie gespeichert. Dieser sogenannte molekulare Klon erlaubt die Erzeugung künstlicher, stets identischer Klonviren“, erklärt Lamp.

Die mit dem künstlichen Virus infizierten Insekten zeigten die gleichen Symptome wie Verfärbungen, Zwergenwuchs, Tod oder eben die namensgebenden Missbildungen der Flügel, wie sie auch bei einer natürlichen Infektion mit dem Flügeldeformationsvirus auftreten.

Damit konnte erstmals eindeutig gezeigt werden, dass diese Krankheitssymptome alleine durch das Flügeldeformationsvirus verursacht werden.

Nachweis des Flügeldeformationsvirus in Drüsengeweben

Neben der Infektion mit der viralen RNS unter kontrollierten Laborbedingungen konnte auch ein unverfälschtes Bild des Krankheitsverlaufes gezeigt werden.

Im Versuch wurden außer voll entwickelten Bienen auch Larven und Puppen mit dem künstlichen Erbgut des Virus infiziert. Im verpuppten Stadium analysierten Lamp und sein Team das Zielgewebe und die Wirtszellen, also die Zellen, die das Virus bevorzugt befällt.

Virale Antigene, die spezifischen Eiweißmoleküle des Flügeldeformationsvirus, wurden in allen Körperregionen gefunden. Besonders betroffen waren allerdings Nerven-, Drüsen- und Bindegewebszellen.

„Der hohe Anteil an viralen Eiweißen, den Antigenen, in den Drüsen könnte auch ein Hinweis auf eine orale Übertragung des Virus von Biene zu Biene im Stock sein“, erklärt Letztautor Professor Till Rümenapf, Leiter des Instituts für Virologie der Vetmeduni Vienna.

Dies würde erklären, warum das Virus auch ohne Übertragung durch die Varroamilbe in den Bienenstöcken erhalten bleibt. In Muskel- und Blutzellen konnten dagegen keine viralen Proteine nachgewiesen werden.

Die neue Methode kann vielfältig angewendet werden

Mit dem molekularen Klon können verschiedene Aspekte einer Infektion im Labor gezielt nachgestellt, verändert und erforscht werden.

Das betrifft die Übertragung durch die Varroamilbe, den Infektionsverlauf und die Vermehrung des Virus in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien und Körperzellen der Honigbiene.

Durch kontrollierte Versuchsbedingungen können neue Strategien entwickelt werden, um die Verluste von Bienenvölkern durch das Virus effektiv zu reduzieren.

Auch wenn im beschriebenen Versuch gezielt mit nur einem Virusstamm gearbeitet wurde, kann die Methode auch für andere Virusstämme genutzt werden. „Häufig ist eine Biene nicht nur von einer Virusspezies befallen.

Mit dem Versuchssystem kann nun festgestellt werden, welche Viren besonders viel Schaden anrichten und wie sich die Viren in Mischinfektionen verhalten“, erklärt Lamp. „Damit lassen sich gezielte Strategien gegen krankmachende Viren ausarbeiten.“

Das Flügeldeformationsvirus, Englisch „deformed wing virus“ und kurz DWV genannt, gehört zur Familie der Iflaviren. Diese Viren sind sogenannte RNS-Viren und haben als Erbgut nur einen Ribonukleotid-Einzelstrang, im Gegensatz zu der bei Säugetieren üblichen doppelsträngigen DNS.

Infektionen mit dem Flügeldeformationsvirus sind zumeist, aber nicht ausschließlich, an den Befall eines Stocks mit der Varroamilbe gekoppelt. „Das Virus kann auch nachgewiesen werden, wenn keine Parasiten im Stock sind“, erklärt Benjamin Lamp.

Publikation

Der Artikel „Construction and Rescue of a Molecular Clone of Deformed Wing Virus (DWV)“ von Benjamin Lamp, Angelika Url, Kerstin Seitz, Jürgen Eichhorn, Christiane Riedel, Leonie Janina Sinn, Stanislav Indik, Hemma Köglberger und Till Rümenapf wurde in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht.
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0164639



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