Langstreckenflüge bei Zugvögeln lohnen nicht immer
Insbesondere Westafrika erweist sich für den Sanderling als ungünstiges Winterquartier – Internationale Langzeitstudie mit Beteiligung der Universität Gießen publiziert
Ein weiter Weg ins Winterquartier lohnt sich für Zugvögel nicht immer: Sanderlinge haben eine geringere Überlebenschance wenn sie zum Überwintern nach Westafrika fliegen.
Dies ist das Ergebnis einer internationalen Studie unter Federführung von Dr. Jeroen Reneerkens (University of Groningen und Royal Netherlands Institute for Sea Research, Niederlande), an der auch der Biologe Johannes Lang von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beteiligt ist.
Die im „Journal of Animal Ecology“ veröffentlichte Studie stellt die weitverbreitete Vorstellung in Frage, dass der Aufwand für längere Migrationsflüge bei Zugvögeln zwangsläufig durch Vorteile in den Winterlebensräumen ausgeglichen wird.
Der Sanderling ist ein etwa amselgroßer Watvogel, der in der arktischen Tundra brütet. Im Spätsommer zieht er an Strände in tropischen oder gemäßigten Regionen. Strandbesucherinnen und -besucher zum Beispiel an der Nordseeküste kennen vielleicht die grau-weißen Vögel, die vor den Wellen hin und her laufen.
Ihre jährlichen Migrationsflüge variieren zwischen 3.700 und 22.000 Kilometern. Wenn grönländische Sanderlinge einige Monate alt sind, wählen sie einen Überwinterungslebensraum in einem Küstengebiet irgendwo zwischen Schottland und Namibia, darunter auch die Wattenmeerinseln.
Sie bleiben diesem Ort für den Rest ihres Lebens treu, nur unterbrochen durch lange jährliche Flüge nach Grönland, um dort zu brüten.
Johannes Lang von der AG Wildtierforschung an der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische der JLU beringt seit dem Jahr 2011 Sanderlinge in Nordost-Grönland und hat im Rahmen des Projektes unter anderem Sanderlinge mit Geologgern ausgestattet.
Mit deren Hilfe konnten die Forscherinnen und Forscher nun zeigen, wo die Tiere überwintern und auf welchem Weg sie in ihre Überwinterungsgebiete und wieder zurück gelangen.
Sieben Jahre lang untersuchten sie die Vor- und Nachteile eines Winteraufenthaltes an mehreren Orten in Europa und Afrika. Mit Farbringen markierte das Team individuell Tausende von Vögeln, die dann von einem großen internationalen Netzwerk von Freiwilligen beobachtet und gemeldet wurden.
Dies ermöglichte es dem Forscherteam, sowohl die Überlebenswahrscheinlichkeiten als auch den Zeitpunkt ihrer Migration nach Norden genau abzuschätzen.
Als besonders ungünstig erwies es sich, wenn Sanderlinge in Westafrika überwintern: Diese Tiere sterben eher jung, kommen spät in ihren Brutstätten an und junge Vögel verbringen bisweilen sogar ihren ersten Sommer im tropischen Afrika – was bedeutet, dass sie ihre erste Brutmöglichkeit verpassen.
Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass wenig und/oder minderwertige Nahrung kurz vor dem Verlassen des tropischen Überwinterungslebensraums die Ursache hierfür sein könnte.
Möglicherweise haben Sanderlinge aus Westafrika häufiger nicht genügend Energiereserven für den langen Flug oder ihre Ankunft im Brutgebiet verzögert sich durch eine zusätzliche Landung zur Futteraufnahme.
Sanderlinge aus Namibia im südlichen Afrika hingegen fliegen in einem einzigen Flug von mehr als 6.000 Kilometern Länge über Afrika nach Norden. Diese enormen Flüge durch die Sahara haben jedoch keinen Einfluss auf das Überleben oder den Zeitpunkt der Migration.
Dies ist nur möglich, wenn die Vögel in Namibia Nahrung finden, um ausreichend Energiereserven für den langen Flug aufzunehmen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Vögel Westafrika im Frühjahr aktiv meiden – möglicherweise, weil es dort zu wenig Nahrung gibt“, so Johannes Lang.
Die Forscherinnen und Forscher wollen nun untersuchen, inwieweit das Wattenmeer als Winterquartier die ungünstigen Überwinterungsbedingungen in Westafrika kompensieren kann.
Publikation
Reneerkens J, Versluijs TSL, PiersmaT, et al. Low fitness at low latitudes: Wintering in the tropics increases migratory delays and mortality rates in an Arctic breeding shorebird. J Anim Ecol. 2019;00:1–13. DOI: 10.1111/1365-2656.13118
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