Schweinestau – das Unwort des Jahres

(14.12.2020) Eine Stellungnahme der "Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e. V."

Nein, eine einfache schnelle und gleichzeitig nachhaltige Lösung haben wir nicht, und die gibt es auch nicht. Der Stau ist seit Jahren strukturell systemimmanent.

Und alle Beteiligten wissen längst, spätestens seit dem letzten Schweinepestzug in Nord-westdeutschland Anfangs der 2000er Jahre, dass dieses diversifizierte Agrarbusi-ness keiner Krise standhält.

Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e. V. Für wen produziert das kleine Deutschland eigentlich diese gewaltigen Mengen Schweinefleisch, gegen die der hiesige Verbraucher, dem immer wieder die Verant-wortung zugeschoben wird, nicht im Entferntesten anessen kann?

Warum mästen deutsche Schweinehalter Schweine, die wir hier in Deutschland nicht brauchen, mit Futter, das wir hier nicht haben, weshalb wir es von abgeholzten und abgebrannten Urwaldflächen importieren, auf Kosten von Trinkwasserqualität und Ar-tenvielfalt, erstickt von Schweinegülle?

Wir, die Verbraucher, haben diese Fleischberge nie nachgefragt. Auch der Einzel-handel nicht, er ist lediglich Trittbrettfahrer, der Billigfleisch als Türöffner missbraucht.

Nein, es sind die big player der europäischen Schlachtbranche, die für sich mit Schweinefleisch ein gigantisches Exportgeschäft hochgezogen haben und unter sich aufteilen. Sie sind es, die die gesamte tierhaltende Landwirtschaft unter massiven Druck gesetzt haben, denn nur mit billigst produziertem Fleisch kann man diese Art Geschäfte machen. Inzwischen wird 45% des in Deutschland erzeugten Schwei-nefleisches exportiert.

Und natürlich gilt: Die Gewinne werden privatisiert, die Kosten sozialisiert. Die Zeche zahlen wir alle. Auch die Schmerzen und das Leiden der Tiere fallen nicht ins Ge-wicht, wenn Gewinne locken. In diesem Geschäft wird Masse gebraucht, Qualität spielt keine Rolle. Für Tierschutz oder gar Empathie für Lebewesen ist da kein Platz.

Frühzeitig hätten alle Schweinehalter erkennen können, in welche Abhängigkeiten sie sich begeben und wo sie letztendlich landen werden, nämlich genau in der Sack-gasse, in der sie jetzt stecken. Doch nur zu gerne hat man um des kurzfristigen eigenen Vorteils und zum Nachteil vieler Berufskollegen ohne Wachstumsmöglich-keiten mitgemacht. Am dramatischsten aber ist die ganze Entwicklung schließlich für die armen Schweine selbst!

Der Schweinestau ist ein Symptom. Die Ursache dafür ist nicht Corona, auch wenn es so schön einfach ist, dieses Virus für alles und jedes zu instrumentalisieren. Die Ursache liegt in der seit Jahren verfahrenen Agrarpolitik. Die Verursacher sitzen im Berliner Regierungsviertel.

Wann wird dort Landwirtschaftspolitik endlich begriffen als Gesellschaftspolitik, als Politik fürs Gemeinwohl, anstatt als Klientelpolitik für finanzi-elle Interessen von Agrarkonzernen und Bauernverbandsfunktionären? Unsere ge-wählten Volksvertreter vertreten definitiv die Interessen der Bürger an Tierschutz, qualitativ hochwertigen Lebensmitteln und ressourcenschonender bzw.- aufbauender Landwirtschaft nicht.

Es ginge auch anders!

Bedarfsgerecht qualitätsvolles Fleisch für den heimischen Markt zu produzieren ist für die Landwirte ein krisensicheres Geschäft, solange in erster Linie ihre Produkti-onskosten den Preis bestimmen und nicht ein Weltmarkt. Ein dezentrales Netz klei-ner und mittelgroßer Schlachtbetriebe könnte die Qualitätsschweine für den heimi-schen Einzelhandel verarbeiten, eine industrielle Größenordnung à la Tönnies/ Vion/ Westfleisch oder Danish Crown bräuchte es nicht.

Eine, an einer in der Dorfgemeinschaft verankerten und funktionierenden bäuerlichen Landwirtschaft interessierte Bundesregierung würde die Landwirte doppelt unterstüt-zen, finanziell bei der Umstellung auf eine an den Bedürfnissen der Tiere orientierte Schweinehaltung und vermarktungstechnisch durch aufklärende Medienpropaganda für den Konsum von regionalem, höherpreisigem Qualitätsfleisch.

Der Verbraucher könnte sich dann sicher sein, dass seine Kaufentscheidung, der tiefere Griff ins Portemonnaie die heimischen Familienbetriebe stärkt und ihre Qualitätsproduktion stützt. Auf diese Weise könnte vielleicht auch der Graben zwischen aufgeklärten Bür-gern und Landwirten Stück für Stück wieder zugeschüttet werden.

Als Akutmaßnahme gegen den weiter ansteigenden Schweineberg könnten die Ver-antwortlichen im Landwirtschaftsministerium zumindest auf die Idee kommen, den Nachschub an Ferkeln zu drosseln, finanziell abgefedert für die Sauenhalter durch Entschädigungszahlungen. Ihr Vorschlag, die Sauenhalter durch Verbilligung der Be-samungsportionen zu entlasten, trägt zur Lösung des Problems nicht das geringste bei.

Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V.
www.tfvl.de


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