8. Leipziger Tierärztekongress: Optimierung des Antibiotikaeinsatzes – aber wie?

(03.08.2015) Experten präsentieren neue Erkenntnisse zur Antibiotikaverordnung bei Masttieren und den Wechselwirkungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt

Spezialisten wie Öffentlichkeit debattieren seit Jahrzehnten über die Häufigkeit und Menge des Antibiotikaeinsatzes bei Mensch und Tier. Ebenso lange wird der Zusammenhang zwischen Antibiotikagabe und -resistenzen erörtert.

8. Leipziger Tierärztekongress Spätestens seit dem Inkrafttreten der jüngsten Novellierung des Arzneimittelgesetzes am 1. April 2014 ist die Minimierung und Optimierung des Arzneistoffes das Gebot der Stunde für alle Veterinärmediziner. Aber wie?

Auf dem 8. Leipziger Tierärztekongress (14. bis 16. Januar 2016) stellen Experten die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Antibiotikagabe bei Masttieren und den Wechselwirkungen zwischen Tier, Mensch und Umwelt einer breiten veterinärmedizinischen Öffentlichkeit zur Diskussion.

„Der Antibiotikaeinsatz bei Nutztieren stellt für unsere Tierärzte und auch für die Tierhalter seit geraumer Zeit eine politisch brisante Herausforderung dar“, erklärt Dr. med. vet. Stefan Krippner, Präsident der Tierärztekammer Sachsen-Anhalt, die für das Berufspolitische Forum des 8. Leipziger Tierärztekongresses verantwortlich zeichnet.

„Daher haben wir zum  Berufspolitischen Forum erfahrene Praktiker und Wissenschaftler eingeladen, um Maßnahmen zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes vorrangig in Masttierbeständen zu analysieren und zu debattieren.“ Das Berufspolitische Forum steht am 14. Januar 2016 unter der Überschrift „Antibiotikatherapie durch Tierärzte – quo vadis“.

Wie wirkt sich das neue Gesetz auf den Einsatz von Antibiotika aus? Welche Wechselwirkung gibt es zwischen Masttier und Mensch? Welche bakteriologische Diagnostik steht zur Verfügung, um ein jeweils passgenaues Antibiotikum zu verordnen?

Diesen Fragen widmet sich eine Vortragsveranstaltung am 15. Januar 2016 unter der Leitung von Prof. Dr. Angelika Richter, Direktorin des Instituts für Pharmakologie, Pharmazie und Toxikologie der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig.

Erste Ergebnisse der Gesetzesnovelle

Eine medizinische Notwendigkeit für die Einnahme von Antibiotika besteht nur, wenn die körpereigene Immunabwehr gegen bakterielle Erreger versagt – darin sind sich alle Experten einig. „Dennoch findet dieser Fakt in der Verordnungspraxis der Veterinärmedizin und der Humanmedizin noch immer zu wenig Berücksichtigung“, erläutert Prof. Dr. Angelika Richter.

Die Novellierung des Arzneimittelgesetzes (16. AMG-Novelle) soll deshalb langfristig zu einer Minimierung und Optimierung der Einsatzmengen und -häufigkeit in Betrieben, die Rinder, Schweine, Hühner und Puten zur Mast halten, beitragen.

Tierhalter sind aufgrund des Gesetzes seit letztem Jahr zu halbjährlichen Meldungen über die in ihren Betrieben eingesetzten Antibiotika verpflichtet. Hierüber werden bundesweite Kennzahlen ermittelt, die Aussagen über die Therapiehäufigkeit erlauben.

„Wenn in einem Betrieb vergleichsweise zu hohe Antibiotikamengen verbraucht wurden, kann dies behördliche Anordnungen zur Verbesserung der Hygiene- und Haltungsbedingungen nach sich ziehen“, erklärt Prof. Richter. „Somit können präventive und nachhaltig wirksame Maßnahmen gegen bakterielle Erkrankungen gefördert werden, um den Einsatz von Antibiotika zu verringern.“

Wie sieht das in der Praxis aus? Greift die 16. AMG-Novelle? Im ersten Teil der Veranstaltung berichten Tierärzte, die an entscheidenden Stellen zur Erfassung der Therapiehäufigkeit tätig sind, unter dem Titel „Mengen des Antibiotikaeinsatzes“ über die ersten Erfahrungen mit der Umsetzung dieser rechtlichen Bestimmungen.

Zu den Vortragenden gehören Dr. Jürgen Wallmann vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Dr. Sabine Kurlbaum vom Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie Dr. Jürgen Harlizius, Leiter des Schweinegesundheitsdienstes der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

Erstmals seit dem Inkrafttreten der AMG-Novelle wird in Leipzig eine breite Zuhörerschaft aus praktizierenden Tierärzten und Amtstierärzten über Schwierigkeiten und Lösungsansätze in der Umsetzung mit diesen Experten diskutieren können.

Übertragung von Resistenzen zwischen Tier und Mensch

Laut dem Bundesministerium für Gesundheit infizieren sich in Deutschland jährlich zwischen 400.000 und 600.000 Menschen im Zusammenhang einer stationären medizinischen Behandlung mit Krankheitserregern. Die Anzahl der Todesfälle wird von Experten auf 10.000 bis 15.000 pro Jahr geschätzt.

Wie das Ministerium in seiner „Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2020)“ zum Wohl von Mensch und Tier vom Mai dieses Jahres betont, seien circa ein Drittel dieser Infektionen durch geeignete Maßnahmen vermeidbar.

Resistente Erreger spielten hier eine besondere Rolle, da die Therapiemöglichkeiten eingeschränkt seien. Auch Prof. Angelika Richter betont, dass insbesondere die Zunahme multiresistenter Keime, die gegen diverse Antibiotikaklassen unempfindlich geworden sind, problematisch sei.

Sie könnten vor allem bei immundefizienten Patienten schwere, nicht mehr therapierbare Erkrankungen mit Todesfolge nach sich ziehen. Gleichzeitig warnt die Pharmakologin vor einer „postantibiotischen Ära“. Antibiotika dürften in allen Bereichen nicht unnötig oder falsch angewendet werden. Falsch wäre es beispielsweise, Antibiotika unterdosiert oder zu kurz zu verabreichen. Auch dies sei ein wichtiger Aspekt bei der Optimierung des Antibiotikaeinsatzes.

Im zweiten Vortragsblock nehmen Experten daher die Wechselwirkungen „Antibiotika: Mensch – Tier – Umwelt“ unter die Lupe. Sie analysieren den Austausch von resistenten Bakterien bzw. Resistenzgenen zwischen Tier und Mensch, ob auf direktem Wege oder über die Umwelt. Prof. Dr. Wolfgang Witte vom Robert Koch-Institut (RKI) informiert zu Beginn der Vortragsreihe über den aktuellen Stand der Resistenzproblematik in der Humanmedizin und über Erkenntnisse zu den Quellen multiresistenter Bakterien beim Menschen.

Dr. Heike Kaspar vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stellt neue Daten zu multiresistenten, pathogenen Bakterien bei Tieren vor. Diese Daten wurden durch ein nationales Resistenzmonitoring des BVL erfasst.

Dr. Cornelia Ibrahim, Referatsleiterin am BVL, schildert den oftmals unvermeidbaren, jedoch im Hinblick auf Wirksamkeit, Verträglichkeit und Förderung von Resistenzselektionen nicht unproblematischen „Off-label-use“ von Antibiotika. Prof. Dr. Gerd Hamscher vom Institut für Lebensmittelchemie und Lebensmitteltechnologie der Justus-Liebig-Universität Gießen referiert über die Quellen und die Konsequenzen des Eintrags von Antibiotika in die Umwelt.

Spurensuche per bakteriologischer Diagnostik

Ein wichtiges Instrument, um eine gezielte Auswahl geeigneter Antibiotika im Sinne der Optimierung des Antibiotikaeinsatzes vornehmen zu können, ist die bakteriologische Diagnostik. Sie steht im Mittelpunkt des 3. Themenblocks. Die Verbesserung der bakteriologischen Diagnostik stellt eines der zentralen Themen des seit 1999 aktiven Arbeitskreises „Antibiotikaresistenz“ der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG) dar.

Dem Arbeitskreis gehören Experten aus der Mikrobiologie, Pharmakologie und den Kliniken an. Referenten aus den verschiedenen Bereichen der DVG werden in diesem Vortragsblock insbesondere die Fehlervermeidung und die Grenzen in der bakteriologischen Diagnostik beleuchten. Auf der Tagesordnung stehen zudem die zu erwartenden Therapieprobleme, die sich aus den Empfindlichkeitsbestimmungen und der Resistenzforschung ablesen lassen.

Das Arzneimittelrecht ist eng mit der Antibiotikaresistenzproblematik verknüpft. Im Fokus des  4. Themenblocks „Arzneimittelrecht“ stehen die Pläne zum EU Tierarzneimittelrecht und der illegale Tierarzneimittelhandel. Über die Pläne der EU informiert Dr. Andrea Sanwidi, Referatsleiterin Lebensmittelhygiene / Fleischhygiene im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

Die Probleme, die sich aus dem illegalen Tierarzneimittelhandel etwa über das Internet ergeben, präsentiert Dr. Dirk Freitag vom Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern. Im Abschlussvortrag wird Prof. Dr. Thomas Blaha von der Außenstelle für Epidemiologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule zum sogenannten „Tiergesundheitsindex“ verschiedene Aspekte des aktiven Tiergesundheitsmanagements für das Tierwohl und die Minimierung des Antibiotikaeinsatzes bei Nutztieren vorstellen.



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