Exotische Stechmücken und tropische Viren in Deutschland auf dem Vormarsch
Eine neue Stechmückenart(1) und gleich drei von Stechmücken-übertragene Viren(3,4) werden eine neu angelegte Datenbank zur Erstellung einer Mückenkarte für Deutschland ergänzen
Wissenschaftler des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNI) und der Universität Heidelberg haben in Zusammenarbeit mit der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Stechmückenplage e.V. (KABS) in Waldsee den eingewanderten japanischen Buschmoskitos in Südwest-Deutschland identifiziert. Gleichzeitig wurde in anderen deutschen Stechmücken erstmals das Sindbis-, das Batai- und das Usutu-Virus nachgewiesen.
„In enger Kooperation zwischen verschiedenen Einrichtungen ist uns hier ein gesundheitspolitisch wichtiger und notwendiger Schritt in der kontinuierlichen Überwachung der Stechmücken und der von Stechmücken-übertragenen Viren in Deutschland gelungen“, sagt Prof. Egbert Tannich, Vorstandsmitglied des BNI und Koordinator eines interdisziplinären Stechmücken-Projekts, das dieses Jahr ins Leben gerufen wurde.
Als Folgen der Globalisierung und des Klimawandels in Deutschland sind nicht nur Wetterextreme wie Hitzewellen und Flutkatastrophen, sondern auch das regionale Vorkommen neuer Stechmückenarten, wie des japanischen Buschmoskitos (Ochlerotatus japonicus), in Deutschland zu verzeichnen.(1,2)
Mit dem Nachweis der eingewanderten neuen Mückenart konnten in Deutschland bislang 48 Stechmückenarten von den Entomologen (Insektenkundlern) der Universität Heidelberg/KABS nachgewiesen werden, so der wissenschaftliche Leiter der KABS, Privatdozent Dr. Norbert Becker.
Insgesamt haben die Experten in den vergangenen Jahren mehr als eine halbe Million Stechmücken mit speziellen Fallen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, zum Beispiel entlang der Elbe, des Rheins, der Donau, der Isar, am Chiemsee und Bodensee, gesammelt und bestimmt.
„Durch unsere Arbeiten haben wir einen guten Überblick über das Auftreten von Stechmücken als mögliche Überträger von Krankheiten, wie der Malariamücke Anopheles plumbeus, die sich in vielen ländlichen Gemeinden in Süddeutschland ausbreitet“, betont Becker. Sie wäre auch als Überträger der Malaria geeignet, wie Infektionsversuche im Labor gezeigt haben.(2)
Es sind jedoch, nach Meinung der Experten des BNI und der KABS, aufgrund der medizinischen Situation in Deutschland derzeit keine Malariaepidemien zu erwarten.
Verlässliche Risikobewertung von Stechmücken-übertragenen Viren nur im Verbund möglich
Im Schlepptau neuer Stechmückenarten finden sich aber neuerdings in Deutschland bisher unbekannte Infektionserreger: Die Gruppe um den Virologen Privatdozent Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, BNI, identifizierte die ursprünglich in Afrika und Asien vorkommenden Sindbis-, Batai- und Usutu-Viren.
„Es ist wichtig, die in den letzten Jahren gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse einem breiten Publikum und politischen Entscheidungsträgern zugänglich zu machen“, betont Schmidt-Chanasit. „Nur so können wir Überreaktionen vermeiden und gemeinsam eine realistische Bewertung der Risiken vornehmen.“
Anfang des Jahres bewilligte die Leibniz-Gemeinschaft die Förderung des interdisziplinaren Forschungsprojekts „Vorkommen und Vektorkompetenz von Stechmücken in Deutschland“ mit rund einer dreiviertel Million Euro.
Das Senckenberg Deutsches Entomologische Institut (SDEI) in Müncheberg unter der Leitung von Prof. Sven Klimpel stand dabei als Projektpartner fest.(5) „Die KABS als weiteren festen Projektpartner zu gewinnen, lag auf der Hand, denn die KABS arbeitet seit zwei Jahren erfolgreich mit unserer virologischen Abteilung zusammen“, so Projektkoordinator Tannich zum aktuellen Stand des Projekts.
Neue Erkenntnisse auch für Europa bedeutsam
Am 30. und 31.05.2011 werden die Wissenschaftler des BNI und der KABS ihre Ergebnisse auf einer von Becker organisierten europäischen Veranstaltung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der European Mosquito Control Association (EMCA) zur Diskussion stellen.
Die Veranstaltung thematisiert vor allem eingewanderte Mückenarten, wie die Tigermücke Aedes albopictus, und das damit verbundene Risiko neuer Infektionskrankheiten. Langfristiges Ziel ist es, Infrastrukturen zu schaffen, die eine europaweite Überwachung von Stechmücken ermöglichen.
Bereits im März 2011 während einer Tagung des vom BMBF geförderten Netzwerkforums zur Biodiversitätsforschung in Deutschland haben Wissenschaftler des BNI und der Universität Heidelberg/KABS ihre Ergebnisse präsentiert: „Wir haben durch die Arbeit der letzten Jahre einen besseren Überblick über das Vorkommen von Stechmücken und der von Stechmücken-übertragenen Viren in Deutschland erhalten“, sagt der Leiter der BNI-Virusdiagnostik Schmidt-Chanasit.
Seine Forschungsgruppe konnte im Jahre 2009 das Sindbis-Virus und das Batai-Virus und im Jahre 2010 das Usutu-Virus in deutschen Stechmücken nachweisen.(3,4) Diese drei Viren können beim Menschen zum Teil schwerwiegende Erkrankungen hervorrufen: „Darum ist es jetzt wichtig, die medizinische Bedeutung dieser Ergebnisse für die Bevölkerung in Deutschland näher zu untersuchen“, betont Schmidt-Chanasit.
Er hat aber auch eine beruhigende Nachricht: „Alle Untersuchungen der letzten Jahre zeigen deutlich, dass andere von Stechmücken-übertragenen Viren, die weltweit von großer medizinischer Relevanz sind, wie etwa das West-Nil- oder das Dengue-Virus, bisher in Deutschland nicht nachgewiesen werden konnten und daher Erkrankungsfälle mit diesen Viren zur Zeit unwahrscheinlich sind.“
Literatur / Publikationen:
(1) Becker N, Huber K, Pluskota B, Kaiser A: Ochlerotatus japonicus japonicus – a newly established neozoan in Germany and a revised list of the German mosquito fauna. European Mosquito Bulletin 29 (2011) 88-102.
(2) Becker N, Petric D, Zgomba M, Boase C, Madon M, Dahl C & Kaiser A: Mosquitoes and Their Control. Springer, Heidelberg, Dordrecht, New York (2010) 577 pp.
(3) Jöst H, Bialonski A, Storch V, Günther S, Becker N, Schmidt-Chanasit J: Isolation and phylogenetic analysis of Sindbis viruses from mosquitoes in Germany. J Clin Microbiol 48 (2010) 1900-1903.
(4) Jöst H, Bialonski A, Schmetz C, Günther S, Becker N, Schmidt-Chanasit J: Isolation and phylogenetic analysis of Batai virus, Germany. Am J Trop Med Hyg 84 (2011) 241-243.
(5) Gemeinsame Pressemitteilung des BNI und SDEI vom 18. Februar 2011: Die deutsche Mückenlandschaft – Forschung am blutsaugenden Insekt.