Großprojekt: Die deutsche Mückenkarte
Gibt es West-Nil-Fieber, Dengue-Fieber und Co. bald regelmäßig auch in Mitteleuropa? Um solche Risiken einschätzen zu können, erstellen Wissenschaftler des Senckenberg Deutsches Entomologisches Instituts (SDEI) in Müncheberg und des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg gemeinsam eine Mückenkarte für Deutschland
Zunächst gilt es für die Taxonomen zu bestimmen, welche Mückenarten sich mittlerweile in Deutschland heimisch fühlen. Im nächsten Schritt untersuchen Entomologen und Virologen genau diese Mücken in speziellen Hochsicherheitslabors, um festzustellen, welche Virenfracht sie übertragen können.
Stechmücken verbreiten eine Vielzahl an Krankheitserregern wie das West-Nil- oder das Dengue-Virus. Klimawandel und Globalisierung bewirken, dass Mücken Regionen erobern, in denen sie bisher nicht vorkamen, oder dass heimische Mücken vermehrt exotische Krankheitserreger übertragen können. Bald tanzen, krabbeln, pieksen sie wieder; in wenigen Wochen beginnt die Mücken-Saison.
Und auf die Mücken wartet bereits ein Team von Wissenschaftlern: „Wir brauchen verlässliche Daten, die es ermöglichen, einen Ausbruch neuer Seuchen rechtzeitig zu erkennen und um vorbeugen zu können“, sagt Prof. Egbert Tannich, Tropenmediziner und Leiter der Abteilung Molekulare Parasitologie am BNI.
Dies ist das Ziel des interdisziplinären Forschungsprojektes „Vorkommen und Vektorkompetenz von Stechmücken“, das von der Leibniz Gemeinschaft mit einer dreiviertel Million Euro (762.000 €) gefördert wird. „Innerhalb weniger Jahre wollen wir einen Überblick über die Artenverteilung der Mücken haben und wissen, was an Viren in ihnen steckt“, erläutert Prof. Sven Klimpel, Leiter des SDEI und des Projektbereichs Medizinische Biodiversität und Parasitologie des Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) in Frankfurt.
Beide Wissenschaftler unterstreichen, dass die Kooperation ihrer Forschungsinstitute und damit zweier sehr unterschiedlicher Fachbereiche – der klassischen Taxonomie (Artenkunde) und der Molekularbiologie sowie der Virologie – ganz besonders wertvoll ist: „Unsere Kompetenzen ergänzen sich hervorragend, das ist besonders schön, weil wir so die Chance haben, langfristig eine feste Einheit auf dem Gebiet der medizinischen Entomologie zu etablieren“, sagt Klimpel und Tannich ergänzt, dass eigens für dieses Forschungsprojekt am BNI eine Arbeitsgruppe für Molekulare Entomologie eingerichtet werde.
Zudem bringe die virologische Abteilung des BNI als Kollaborationszentrum der Weltgesundheitsorganisation (WHO) langjährige Erfahrung in der Virendiagnostik mit ein. Das BNI besitzt Laboratorien der höchsten Sicherheitsstufe, in denen auch gefährliche, neu importierte Viren untersucht werden können.
Das Senckenberg Deutsche Entomologische Institut in Müncheberg verfügt über eine weltweit einmalige Insektensammlung insbesondere auch im Hinblick auf die zu untersuchenden Mücken.
Fächerübergreifende Forschung für ein verlässliches Frühwarnsystem
Dass Taxonomen, Tropenmediziner, Infektionsbiologen, Molekularbiologen und Virologen gemeinsam Mücken untersuchen, hat Gründe: Etwa 45 Mückenarten gibt es in Deutschland – doch über diese Tiere existiert bisher nur lückenhaftes Wissen.
In allen Bundesländern fangen Kooperationspartner zum Beispiel von wissenschaftlichen Einrichtungen und der Bundeswehr Mücken für das Forschungsprojekt. Sie ermitteln auch Wetterdaten, die das Klima am Fangort charakterisieren, und liefern ihr Material zur Auswertung an die Spezialisten. In Alkohol konserviert oder auf Nadeln präpariert, wird ein Teil der Tiere in einer taxonomischen Referenzsammlung dokumentiert.
Herzstück des Forschungsprojektes wird eine Datenbank sein, in die das Datenmaterial aller gesammelten Mücken eingeht. Jedes der Insekten wird quasi zu einem Punkt auf einer Deutschlandkarte: „Wir erhalten eine Verbreitungskarte, die uns zeigt, welche Mückenarten wo und in welchen Anzahlen vorkommen“, erläutert Klimpel. Parallel zur Bestimmung und Dokumentation der verschiedenen Arten bestimmen die Virologen, welche Viren in diesen Mücken zu finden sind.
Infektionsversuche sollen zudem zeigen, ob die heimischen Mückenarten bestimmte Viren aufnehmen und weitergeben können. „Solche Arbeiten erfordern erhöhte Sicherheitsbedingungen in speziell dafür ausgestatteten Laboratorien wie dem Hochsicherheitsinsektarium, das das BNI zur Verfügung stellt“, erklärt Tannich.
Überträger von West-Nil-Viren ab sofort unter Beobachtung
Verschiedene Viren nutzen Mücken entweder als Wirt oder als Transportmittel, einen so genannten Vektor, um von einem Wirtsorganismus zu einem anderen zu gelangen. Die Mikroorganismen werden dabei von der Mücke mit einer Blutmahlzeit aufgenommen und beim nächsten Stich über den Speichel weitergegeben.
Wenn eine Mücke zu einer Art gehört, die sowohl Vögel als auch Säugetiere sticht, kann diese Mücke Viren von einem Vogel beispielsweise auf einen Menschen übertragen. So auch der Erreger des West-Nil-Fiebers, ein sogenanntes Arbovirus, der in Vögeln vorkommt, aber auch Menschen krank machen kann.
Die Infektion verursacht in schweren Fällen Hirnhautentzündungen, die gerade bei älteren Menschen bedrohlich und sogar tödlich verlaufen können.
Seit das ursprünglich aus Afrika und dem Mittelmeerraum stammende Virus 1999 erstmals in den USA festgestellt wurde und sich binnen weniger Jahre über fast ganz Nordamerika ausgebreitet hat, wird es intensiv erforscht.
Aus Mitteleuropa sind bisher nur regionale Krankheitsausbrüche bekannt geworden. Ob das so bleibt, ist ungewiss: Zugvögel pendeln seit Jahrtausenden zwischen Europa und den Verbreitungsgebieten des West-Nil-Fiebers in Afrika. Die Verschleppung ist also nicht unwahrscheinlich. Doch haben die heimischen Mücken überhaupt das Potenzial, dieses Virus vom Vogel auf den Menschen zu übertragen? Diese und andere Fragen sollen mit dem neuen Forschungsprojekt beantwortet werden.
Das Projekt wird aus keiner Mücke einen Elefanten machen: Es ermöglicht die realistische Bewertung der Risiken. Faktenwissen ersetzt die Spekulation darüber, ob Krankheiten wie das West-Nil-Fieber auf die Menschen in Deutschland zukommen. Datenbanken erlauben es, auch langfristig auf dem aktuellen Wissensstand zu bleiben.(rba)
Link: Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut (SDEI) in Müncheberg
Link: Bernhard-Nocht-Institut (BNI) für Tropenmedizin in Hamburg
Weitere Meldungen
die neuesten Meldungen
Firmennews
Teile diesen Bericht auf:
Buchtipps Buchtipps Buchtipps

Röntgen Hund und Katze: Thorax und…
(21. Mär 2025) Röntgenbilder sicher befunden Gebundene Ausgabe - herausgegeben von…Queer: Sex und Geschlecht in der…
(13. Mär 2025) Josh L. Davis ist ist Mitarbeiter des Natural…13 Frauen. Aus der Geschichte des…
(07. Mär 2025) Dieses Buch macht die Geschichten von Frauen sichtbar…Wildtierfindlinge in der Tierarztpraxis
(28. Feb 2025) Grundlagen der Wildtierhilfe, praktische Anwendung, tierärztliche Versorgung -…Der Erfindergeist der Tiere
(17. Feb 2025) Werkzeuge, Ideen und Innovationen. Faszinierende Einblicke in tierische…Meine Patienten laufen Trab
(11. Feb 2025) Unterwegs als Pferdeärztin auf dem Land - von…Internationale Veranstaltungen Int. Veranstaltungen Internationale Veranstaltungen

EVECC-Kongress 2025
(01. Mär 2025) Der 22. European Veterinary Emergency and Critical Care…FECAVA EuroCongress 2025 in Antwerpen
(17. Feb 2025) FECAVA lädt Sie vom 3. bis 6. September…Yaboumba Weltkongress 2025
(17. Feb 2025) Der XV. Internationale Kongress für Medizin und Chirurgie…Webinar zum World Veterinary Dermatology Day…
(13. Jan 2025) Die World Association for Veterinary Dermatology lädt am…Hill's Global Symposium 2024
(20. Okt 2024) Hosted by Hill's Pet Nutrition on Oct. 24-25…7. Kroatischer Veterinärkongress 2024
(22. Jul 2024) Der diesjährige Kroatische Veterinärkongress wird vom 24. bis…Preise und Stipendien Preise und Stipendien Preise und Stipendien
