Der inoffizielle Wettbewerb der Gerüche

(27.05.2020) Wir mussten sehr lachen, als alle anfingen, von Gerüchen in ihrem beruflichen Umfeld zu erzählen. Als Tierärztin war ich schließlich die „Gewinnerin“ des Abends. Eine Kolumne von Dr. Dominique Tordy.

Es war ein Traum, Tierärztin zu werden.

Gemeinsam mit den Frauchen und Herrchen – so dachte ich – kämpft der Tierarzt (m/w/d) heldenhaft gegen üble Krankheiten und rettet die geliebten Tiere. Dabei ist dies nur ein Teil unserer Arbeit...

Ein Freund von mir ist Pilot.
Als wir vor einiger Zeit gemütlich in einer Gruppe beim Abendessen zusammensaßen, erzählte er, dass sein Flugzeug morgens keine Starterlaubnis bekommen hatte, weil es einen „Smell“ gegeben hätte.

Auf Nachfrage erklärte er uns anderen, dass es sich hierbei um einen „Geruchsvorfall“ handle und damit jede Form von ungewöhnlicher Geruchsbildung im Flugzeug gemeint sei. Wenn so etwas vorkommt, wird grundsätzlich der Betrieb unterbrochen.

Natürlich möchte auch ich nicht mit einem Flugzeug abheben, in dessen Innerem irgendetwas einen seltsamen Geruch verursacht. Man weiß ja nie, ob nicht etwas Gefährliches für die Geruchsentwicklung verantwortlich ist.

Aber wir mussten doch sehr lachen, als alle anderen ebenfalls anfingen, von Gerüchen in ihrem beruflichen Umfeld zu erzählen, die selbstverständlich nur selten dazu führen, dass der Betrieb gestoppt wird.

Als Tierärztin war ich schließlich die „Gewinnerin“ des Abends, gefolgt vom Polizisten und der Zahnärztin.

Wer kann von Geruchserlebnissen berichten?

Der Lehrer hatte mit hormongesteuertem Parfummissbrauch, stinkenden Socken und Pubertätsschweiß noch gute Chancen auf einen Platz auf dem Treppchen.

Die Bauingenieurin und der IT-Spezialist waren in ihren muffigen Büros mit pupsenden Kollegen oder verdorbenen Lebensmitteln im Gemeinschaftskühlschrank weit abgeschlagen.

Die Zahnärztin beschrieb die unterschiedlichen Gerüche, die ihr täglich aus den weit geöffneten Mündern ihrer Patienten entgegenstiegen. Wir anderen hatten schon damit gerechnet, dass einige Patienten Mundgeruch haben. Aber die Details über Abszesse im Mund oder Maden unter Gebissen waren doch beeindruckend. Anscheinend kommt es wohl auch nicht selten vor, dass sich Patienten vor dem Zahnarztbesuch „Mut antrinken“ und dann aus dem Mund riechen wie eine Kneipe um zwei Uhr nachts.

Der Polizist hatte auch schnell das Mitleid der Anwesenden gewonnen. Es ist unfassbar, wonach Menschen in Notsituationen so riechen können: Erbrochenes, getrocknetes Blut, Durchfall, eingetrockneter Urin, Sperma… Alles, was Menschen so von sich geben, war dabei.

Die Stunde der Tierärztin

Und dann – schlug die Stunde der Tierärztin.

Maden unter dem Gebiss? Peanuts! Ich erkenne ein Kaninchen mit Madenbefall noch bevor es aus der Transportbox kommt – allein am Geruch!

Auch Schweißsocken beeindrucken mich nicht mehr, seit ein Patientenbesitzer die Schuhe auszog und es sich auf dem Boden des Behandlungsraums neben seinem Hund gemütlich machte.

Und wer einmal den Durchfall eines Hundes gerochen hat, der an Parvovirose erkrankt ist, hat eine Nahtod-Erfahrung mehr auf seiner Liste.

Die endoskopische Entfernung von etwa 15 gammeligen, benutzten Tampons aus dem Magen eines Labradors, der sich am Badezimmermülleiner seines Frauchens bedient hatte, war ein besonderes olfaktorische Highlight, das die Konkurrenz in unserer Runde weit hinter sich ließ!

Ein Herren-Abend mit Folgen

Und auch ein Chihuahua bleibt mir unvergesslich. Er gehörte zu einem Pärchen, das optisch sehr an Barbie und Ken erinnerte. „Barbie" war am Samstag Abend mit ihren Mädels ausgegangen und hatte „Ken“ und den Chihuahua allein zu Hause gelassen. Ken hatte beschlossen, den Barbie-freien Abend mit einem Eimer Chicken Wings und Bier vor dem Fernseher zu feiern.

Leider hatte er das Hündchen vergessen, das in einem unbeobachteten Moment versucht hatte, sich den kompletten Chicken Wings-Knochenhaufen einzuverleiben. Er war schon erstaunlich  weit gekommen, als Ken ihn ertappte und unverzüglich in die Tierklinik brachte.

Das Röntgenbild sah so aus, als hätte er mehr Knochen im Magen als in seinem ganzen restlichen Körper. Also wurde notgedrungen beschlossen, die Knochen chirurgisch wieder aus dem Magen zu holen. Erstaunliche Erkenntnis: Der Magen eines Chihuahuas schafft es, den Geruch einer ganzen Hähnchenbratbude zu speichern und damit einen kompletten Operationssaal zu füllen.

Ich gewann schließlich den inoffiziellen Wettbewerb in den Kategorien „Diversität“, „Intensität“ und „Ekel-Faktor“.

Wirklich eine verdiente Auszeichnung?

Ich bin gerade rückblickend nicht ganz sicher, ob ich mich über die Auszeichnung freuen kann oder ob ich die „Verlierer“ des Abends nicht doch etwas beneide.

Gänzlich abgestumpft gegen Gerüche bin ich aber trotz dieser vielfältigen Erfahrungen nicht. Wenn ich zum Beispiel das Erbrochene eines Menschen rieche, wird mir gleich ebenfalls schlecht – und ich bin sicher, dass ich hier nicht die einzige Tierärztin bin, der es so geht. Zum Schutz meiner Mitmenschen überlasse ich es in diesen Fällen lieber anderen, einzugreifen. Auch ich kann nicht in jeder Situation helfen.

Dennoch finde ich, dass ich die Auszeichnung des Abends verdient habe – und ich nehme sie stellvertretend für alle Kollegen an, die täglich unsäglichen Gerüchen ausgesetzt sind, ohne auch nur daran zu denken, den laufenden Betrieb zu unterbrechen wie die Flugzeugführer aus dem Cockpit!


Sie fühlen sich davon angesprochen? Denken ähnlich? Oder sind ganz anderer Meinung? Schreiben Sie uns, was Sie bewegt!

PS: Kennen Sie auch schon die neuen Websites DOG ROYALZ und CAT ROYALZ, auf denen sich Hunde und Katzen als Mitglieder registrieren lassen können. Highlight dabei ist die tiermedizinische Notfalldatenbank.

Titelbild: Sidney A. Tordy

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