Das erklärt uns der Herr Doktor gleich nochmal!
Ich war jung und wollte mit Wissen und Engagement die Welt retten. Und – wenn es gut lief – dafür mit Dankbarkeit und Bewunderung belohnt werden. Heute weiß ich es besser. Eine Kolumne von Dr. Dominique Tordy.
Es war ein Traum, Tierärztin zu werden.
Gemeinsam mit den Frauchen und Herrchen – so dachte ich – kämpft der Tierarzt (m/w/d) heldenhaft gegen üble Krankheiten und rettet die geliebten Tiere.
Heute weiß ich: Zum Tierarzt-Beruf gehört es nicht nur, unsere Patienten zu heilen, sondern auch sie und ihre Besitzer glücklich zu machen. Das ist ein schrecklich unterschätzter Teil unserer Arbeit…
Zu Beginn meiner Karriere war ich anders. Ich war jung und wollte mit Wissen und Engagement die Welt retten. Und – wenn es gut lief – dafür mit Dankbarkeit und vielleicht auch ein wenig Bewunderung belohnt werden.
Damals war ich als interessierter, aber gänzlich unerfahrener Neuling in einer großen Klinik tätig. Und ich war besessen von der Chirurgie. Abgesehen von Wirbelsäulen-OPs, die mir damals außer Reichweite erschienen, war die Versorgung eines Kreuzbandrisses damit so eine Art heiliger Gral für mich.
Nun, operieren durfte ich ihn noch nicht. Aber es lag in meinem Aufgabengebiet, den Kreuzbandriss zu diagnostizieren, den Besitzern das bestehende Problem zu erklären, und sie über und die OP-Möglichkeiten zu informieren.
Dazu hatte ich ein wundervolles Konzept mit plastischer Darstellung entwickelt. Mit meinen Händen und Armen stellte ich Ober- und Unterschenkel dar, ein Finger symbolisierte das intakte Kreuzband. Sein Fehlen führte – im Knie genauso wie zwischen meinen Händen – zu einer sichtbaren Instabilität, die folglich auch nicht durch ein Schmerzmittel zu beheben war.
Ein weiterer Teil meiner Ausführung beschrieb detailliert die Entstehung des Risses und nebenbei erklärte ich, warum dazu nicht wie beim Menschen ein Trauma nötig sei.
Diese Ausführungen waren zeitraubend und fraßen Energie, aber das war es wert!
Kein Tierhalter sollte mich uninformiert verlassen.
Sie sollten wissen, in welch großartige Maßnahmen sie ihr Geld investierten!
Eines Tages stellte tatsächlich ein Tierhalter am Ende meiner Ausführungen eine interessierte Frage. Das heißt, er wollte sie stellen. Denn die Frage war nur halb ausgesprochen, da stieß ihm seine Frau unsanft den Ellenbogen in die Rippen!
„Das erklärt uns der Herr Doktor gleich nochmal!“ , zischte sie ihm böse zu.
Als hätten sie bis dahin mit der TFA gesprochen!
Ich war tief getroffen.
Ja, ich war nicht „der Herr Doktor“, männlich, Mitte 40, vielleicht bärtig – so wie Tierärzte im Fernsehen oft aussehen. Statt dessen war ich eine kleine Frau, die außerdem noch viel zu jung aussah.
Aber hatte ich nicht mit vielen Worten meine Kompetenz gezeigt? Hatte ich nicht wirkliches Engagement bewiesen? Ich war entsetzt über eine derart diskriminierende Haltung!
Heute weiß ich: Die arme Frau hatte wahrscheinlich kein Wort meiner langen Ausschweifungen verstanden. Und sie hoffte wohl, dass ein kompetenter Mensch sie so aufklären könnte, dass sie es verstand.
Vielleicht befürchtete sie auch, dass die Frage ihres Mannes einen erneuten Redeschwall meinerseits auslösen könnte. Ich werde es nie erfahren.
Ich bin auch kein „Herr Doktor“ geworden.
Aber immerhin bin ich jetzt klüger, was die Beschreibung von Kreuzbandriss-Operationen angeht.
„Eine Möglichkeit ist es, eine Art Ersatz für das gerissene Band zu schaffen. Eine andere ist, die Knochenstellung ein wenig zu verändern, damit das Band gar nicht mehr gebraucht wird.“
Dann folgt, wenn gewünscht, noch ein Hinweis, welche Methode im betreffenden Fall zu bevorzugen sei. Manchmal mit kurzer (!) Begründung.
Das war’s.
Inzwischen fragt niemand mehr nach dem „Herrn Doktor“. Und ich habe den starken Verdacht, dass das nicht nur daran liegt, dass ein paar Kerzen mehr auf meiner Geburtstagstorte brennen.
Ich habe eingesehen, dass die Tierhalter eine grobe Idee davon haben wollen, was mit ihrem Hund passiert. Sie wollen wissen, wieviel es kostet, und möchten am liebsten, dass der Tierarzt sagt: Wir schaffen das!
Und mal ehrlich: Was sollen sie auch mit den vielen Extra-Infos anfangen?
Aber manchmal – ganz selten – fragt auch ein Kunde nach Einzelheiten. Dann möchte er wirklich wissen, was im Knie seines Hundes passiert ist. Er möchte hören, welche cleveren Überlegungen hinter der Umstellungs-Osteotomie stehen. Und er fühlt sich sicherer, je mehr er von den Vorgängen versteht.
Dann ist der Moment gekommen!
Dann darf die junge Tierärztin von früher ran, die die Welt aufklären, begeistern und für sich gewinnen will! Dann schlägt ihre Stunde!
Den Rest der Zeit kann ich aber inzwischen auch genießen. Es lebt sich doch deutlich entspannter mit weniger Daten(über)fluss.
Sie fühlen sich davon angesprochen? Denken ähnlich? Oder sind ganz anderer Meinung? Schreiben Sie uns, was Sie bewegt!
PS: Kennen Sie auch schon die neuen Websites DOG ROYALZ und CAT ROYALZ , auf denen sich Hunde und Katzen als Mitglieder registrieren lassen können. Highlight dabei ist die tiermedizinische Notfalldatenbank .
Illustration: Dominique Tordy
Bisher erschienen:
Die letzten Minuten
Wie sehen sie wohl aus, die letzten Minuten und Stunden, bevor Tierhalter mit heißen Köpfen und zitternden Händen in den tierärztlichen Notdienst stürmen?
„Tja, da weiß ich jetzt auch nicht weiter…“
Der größte Wunsch unserer Kunden ist, einen Plan zu erhalten, eine konkrete Idee, wie vorzugehen ist und was sie selbst für ihr Haustier tun können.
Mein Leben ist ein Ponyhof
Als ich klein war, mochte ich Ponyhofgeschichten. Okay, um ehrlich zu sein, mag ich sie immer noch. Ich habe auch schon von Tierärzten mit "Pferdemädcheneinstellung" gehört.
Very happy New Year!
Wahre Weihnachtswunder
Liebe Kollegen, sind Sie zu Weihnachten als Tierärztin/Tierarzt aktiv? Gehören Sie vielleicht auch zu den vielen Menschen, die an den Feiertagen die Multi-Job-Challenge meistern müssen?
Die Weihnachtskarawane
Jedes Jahr zur Weihnachtszeit, bist du als Kleintierarzt bereit. Ein Kolumnenweihnachtsgedicht.
Sauber und ordentlich!
Wer möchte schon einen sauberen und ordentlichen Bürojob haben, bei dem höchstens Kaffeeflecken auf dem Hemd oder der Bluse landen? Wir stehen mitten im Leben - mit allem, was dazugehört!
Küss den Frosch!
An manchen Tagen erinnert die Situation im tierärztlichen Behandlungsraum an ein erstes Date - Tierhalter und Tierarzt stehen sich gegenüber als zwei Fremde.
Das schönste Kompliment
Ich mache gern Komplimente. Und in unserem Beruf ist das leichter als in den meisten anderen. Abgesehen davon bekomme ich auch selbst gern Komplimente - von meinen Patienten.
Der Hinterhalt
Wenn ich aus meinem Job ein Bingo-Spiel machen wollte, würde ich Sätze nehmen, die das besondere Band zwischen Hund und Halter beschreiben.
Der Vet-Simulator „Get Vet“
Normalerweise bin ich ja nicht auf dem allerneuesten Stand, wenn es um Computerspiele geht, aber so kam ich auch mal ganz nah an den Puls der Zeit - und entdeckte prompt das brandneue Tierärzte-Computerspiel "Get Vet"!
Super-Vet
Was wäre, wenn wir mit übernatürlichen Kräften ausgestattet wären, mit einem dritten Arm, oder sogar einem Vierten? Wir wären schneller, geschickter, und würden mit etwas Übung auch noch elegant aussehen. Aber wäre dann alles gut?
Durch Corona degeneriert mein Sprachvermögen
Was wäre, wenn die Tierhalter uns beobachten könnten, wenn wir mit ihren Lieblingen allein sind? Würden sie uns für verrückt halten?
Brauchen wir die „Keule“?
Die "Keule" ist ein Instrument in der Veterinärmedizin, welches immer wieder für Angst und Schrecken sorgt - und andererseits auch einen Ausweg für scheinbar ausweglose Situationen bieten kann
Learned from the best!
Mir standen die Tränen in den Augen, als mir der nette Herr erklärte, dass ich meinen Liebling geschlagene sechs Tage abgeben sollte.
Hoch wissenschaftlicher Aberglaube
Manchmal treffen wir als Tierärzte auf einen Gegner, mit dem wir nicht gerechnet hatten, für dessen Bekämpfung wir nicht ausgebildet sind und gegen den keine unserer Waffen wirksam ist!
Wer bin ich? Und wenn ja, wer mag mich?
Wenn ich kann, bin ich die Tierärztin, die ich immer sein wollte. Das Ganze soll aber, nach Meinung einiger Tierhalter, auf keinen Fall Geld kosten.
Der Tierarzt-Parcours
Bei einem Tierarzt-Besuch gibt es viele kleine Einzelereignisse, die von Hunden, Katzen und ihren Frauchen und Herrchen gleichermaßen gefürchtet werden.
Der inoffizielle Wettbewerb der Gerüche
In der Regenbogenpresse der Haustiere – Wir sind die Stars!
Was darf’s denn heute sein?
Das geheime Aufnahme-Ritual
Setzen wir unserem Leben die Corona auf!
Das Leben im Mittelpunkt
Vor kurzem habe ich meinen Geburtstag gefeiert. Ein Ständchen soll eine besondere Aufmerksamkeit sein. Aber mal ehrlich: Fühlt ihr euch in solchen Momenten wohl?
Sind wir anders?
Wahrscheinlich erinnert sich auch jeder von uns noch an seine erste Operation. Die war wohl bei keinem mit dem Skalpell in der Hand...
Manchmal haben wir einfach keine Chance!
Kurz vor der Mittagspause sehe ich noch eine Dame, die mit einem leicht nervösen Border Collie im Wartezimmer sitzt. "Letztes Mal waren wir ja beim Herrn Doktor ", fängt sie an, bricht aber mitten im Satz ab.
Das erklärt uns der Herr Doktor gleich nochmal!
Ich war jung und wollte mit Wissen und Engagement die Welt retten. Und - wenn es gut lief - dafür mit Dankbarkeit und Bewunderung belohnt werden. Heute weiß ich es besser.
Wir sind Batman!
Wir müssen die retten, die gar nicht wissen, dass wir die "Guten" sind. Wir helfen denen, die sich nicht selbst helfen können. Moment mal - da kenne ich doch noch jemanden