Der Hinterhalt

(09.10.2020) Wenn ich aus meinem Job ein Bingo-Spiel machen wollte, würde ich Sätze nehmen, die das besondere Band zwischen Hund und Halter beschreiben. Eine Kolumne von Dr. Dominique Tordy.

Es war ein Traum, Tierärztin zu werden.

Gemeinsam mit den Frauchen und Herrchen – so dachte ich – kämpft der Tierarzt (m/w/d) heldenhaft gegen üble Krankheiten und rettet die geliebten Tiere. Dabei ist dies nur ein Teil unserer Arbeit...

Wenn ich aus meinem Job ein Bingo-Spiel machen wollte, würde ich Sätze nehmen, die das besondere Band zwischen Hund und Halter beschreiben.

„Mein Hund ist so sehr auf mich fixiert!“ (sehr häufig, ein Joker beim Tierarzt-Bingo)

„Ich habe ihn seit 2 Jahren und wir waren noch nie getrennt!“ (die genaue Anzahl der Jahre ist dabei beliebig hoch oder niedrig)

„Er kommt aus dem Tierschutz, deswegen hängt er so an mir!“ (oder auch: „aus schlechter Haltung, deswegen…“)

„Ich habe ihn, seit er ein Welpe ist und er vertraut nur mir!“

„Nur ich kann ihn halten, sonst schnappt er sogar nach meinem Mann/meiner Frau…“

Eine rationale Begründung

Anfangs haben mich solche Erklärungen stutzig gemacht, dann irgendwann genervt, weil scheinbar jeder dritte Hundehalter einen solchen oder ähnlichen Satz aufsagt, meist anstelle einer Begrüßung.

Aber wenn etwas häufig auftritt, hat es meist eine rationale Begründung.

Ich gebe zu, dass es eine Weile gedauert hat, bis ich darauf gekommen bin.

Und bezogen auf das Verständnis für diese Hundehalter hat es mir auch nicht wirklich geholfen, dass ich selbst Hunde aus dem Tierschutz oder mit einer anders auffälligen Geschichte adoptiert habe.

Meinen Hund bei der Untersuchung

Ein Licht ging mir erst kürzlich auf, als ich meinen Hund einer Kollegin zur Untersuchung vorstellte.

Einen entsprechenden Hinweis für das Tierarzt-Bingo konnte ich mir verkneifen, aber ich hatte auch diverse Vorteile auf meiner Seite.

Es ging um eine harmlose Augenuntersuchung. Meine Kollegin ist ein sympathischer Mensch. Ich kenne sie schon eine Zeitlang und vertraue ihr. Der Ablauf der geplanten Untersuchung war mir bekannt und verursachte keinerlei Schmerzen. Außerdem war es  nicht zu befürchten, dass das Untersuchungsergebnis in irgendeiner Weise schockierend ausfallen würde.

Dennoch dämmerte es mir, während ich meinen leicht zitternden Hund festhielt, was die Hundehalter zur Kugeltrommel beim Tierarzt-Bingo werden lässt…

Diese Situation, in der man seinen Hund einem (mehr oder weniger) Fremden ausliefert, die Gefahr, dass dieser unter Umständen seltsame oder sogar schmerzhafte Dinge mit ihm anstellt, die Fixierung des eigenen Haustieres in einer Lage, aus der es unbedingt ausbrechen möchte, fühlen sich an wie Verrat.

Und da wir ja nicht nur gesunde Tiere untersuchen, paart sich das schlechte Gewissen bei unseren Tierarzt-Bingo-Tierhaltern außerdem noch mit herber Verlustangst: Was, wenn der Arzt doch etwas Schlimmes findet?

Der arme Tierhalter auf der gegenüber liegenden Tischseite fürchtet gerade, das Vertrauen und die Liebe seines Hundes aufs Spiel zu setzen - oder ihn sogar ganz zu verlieren.

Und diese Sätze, die uns in Dauerschleife von verschiedenen Tierhaltern vorgesetzt werden, sind für viele vielleicht ein Mantra, um nicht ihren Hund zu schnappen und die Flucht zu ergreifen wie ein Dental-Phobiker vor dem Zahnarzt.

So ging ich voll milder, wohlwollender Gefühle wieder an die Arbeit.

Den nächsten Tierhalter, der mich mit einem Tierarzt-Bingo-Satz begrüßen sollte, würde ich mit freundlicher Stimme daran erinnern, dass sein Hund wüsste, dass er ihn liebte und diese Liebe auch sicher und dauerhaft erwidern würde!

Tommy und sein Frauchen

In diesem Moment bricht Tommy in das Behandlungszimmer herein: Ein zwei Jahre junger, intakter French Bulldog-Rüde, der geimpft werden werden soll. Strotzend vor Kraft und Selbstbewusstsein, nimmt er den Raum ein.

„Der Tommy ist so auf mich fixiert, den kann nur ich festhalten!“, eröffnet Frauchen das Gespräch und versucht ihren Hund auch gleich auf den Tisch zu heben. Tommy schnappt dabei nach ihr. Dennoch schafft sie es mit einiger Mühe, ihn unverletzt unter Kontrolle zu bringen. Schnell bringen wir Untersuchung und Impfung hinter uns. Gelegenheit für einen aufmunternden Satz bekomme ich nicht, aber wir alle sind froh, als die Prozedur vorbei ist.

Tommy und sein Frauchen verlassen das Zimmer und ich atme leicht auf.

Draußen höre ich, wie Tommy an lockerer Leine laut kläffend auf einen anderen Hund zuschießt, der auf seiner Flucht polternd einen Stuhl umreißt, und sich gerade noch in Sicherheit bringen kann.

„Entschuldigung, aber mein Hund ist so sehr auf mich fixiert, der möchte mich einfach immer beschützen!“, höre ich sein Frauchen noch sagen.

Und ich korrigiere meine vorherigen Überlegungen: Menschen machen manchmal dieselben Dinge aus völlig unterschiedlichen Gründen…


Sie fühlen sich davon angesprochen? Denken ähnlich? Oder sind ganz anderer Meinung? Schreiben Sie uns, was Sie bewegt!

PS: Kennen Sie auch schon die neuen Websites DOG ROYALZ und CAT ROYALZ, auf denen sich Hunde und Katzen als Mitglieder registrieren lassen können. Highlight dabei ist die tiermedizinische Notfalldatenbank.

Titelbild: Sidney A. Tordy

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